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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mochten nun die andern sie gehen.
    Die andern aber, die Leute, die kamen, sich die Caprichos zu beschauen, zogen daraus keine Erkenntnis, und wenn sie enttäuscht waren, dann von den Radierungen selber. Siedurchblätterten die Mappe und waren befremdet. Auch in den Rezensionen war wenig Wärme und Verständnis. Nur der Kritiker Antonio Ponz rühmte die Neuheit und Tiefe des Werkes und schrieb: »Vier Augen auf einmal, heißt es im Sprichwort, hätten noch niemals ein Gespenst gesehen. Goya macht das Sprichwort zur Lüge.«
    Quintana, der erwartet hatte, die Caprichos würden die Stadt in Aufruhr versetzen, war erbittert. Nicht so Goya. Er wußte, ein Werk wie dieses brauchte Zeit, die rechten Empfänger zu finden.
    Schon nach einer kurzen Weile indes hob sich das Interesse, und immer mehr Leute liefen in die Calle de Desengaño.
    Viele nämlich fanden in den
    Blättern, Goyas Kommentar zum
    Trotze, kühne Karikierung,
    Hinweis auf Personen höchsten
    Ranges, witzige Verspottung
    Kirchlicher Gebräuche. Flüstern
    War, gekitzelt lüsternes Ge-
    Raune. Und die Herren auch des
    Heiligen Offiziums kamen
    Immer öfter in den Laden
    Señor Frágolas.

33
    Jäh, geheimnisvoll, stand vor Goya einer der Grünen Boten. Huschend war er gekommen, huschend ging er. Goya, mit unsichern Fingern, öffnete den Brief. Er war für den nächsten Tag vor das Heilige Offizium geladen.
    In seinem tiefsten Innern hatte er von jeher gewußt, daß es so kommen werde, von der Zeit an, da er in der Kirche San Domingo dem Autodafé des Olavide hatte beiwohnen müssen.Er war gewarnt, mehrere Male und sehr eindringlich. Trotzdem war ihm die Ladung ein schmetternder Schlag.
    Er rief seine Vernunft zu Hilfe. Aber der Großinquisitor war kein Coco, kein Schwarzer Mann, den man mit Stift und Stichel hätte besiegen können. Immerhin, hatte Francisco nicht noch andere Waffen? Er hatte die Zusicherung seiner Freunde, und nun der Krieg zu Ende war, konnte Don Manuel Angriffe des Heiligen Offiziums ohne Mühe abschlagen.
    Diesen Erwägungen zum Trotz rollte Angst in immer neuen, dunkeln Wellen über Francisco her. Er hockte in seinem Stuhl, schlaffen Gesichtes und schlaffen Leibes, und niemand hätte in dieser angstgerüttelten Kreatur den Goya erkannt, der würdig im grauen Gehrock und Bolívar einherzugehen pflegte.
    Von den Freunden war keiner in Madrid. Miguel und Lucía waren noch in Frankreich, Manuel und Pepa im Escorial, bei Hofe, Quintana beim Rat von Indien in Sevilla. Wenigstens mit Agustín sollte er sprechen, oder mit Javier. Aber zu tief in den Knochen stak ihm die Scheu vor den finstern Strafen, die demjenigen angedroht waren, der sich verging gegen das Gebot der Geheimhaltung; die Schauer waren in ihm, die den Knaben überlaufen hatten, wenn, alljährlich, das Glaubensedikt verkündigt worden war.
    Allen brachte er Unheil. Sein armer Sohn Javier! Auch der wird nun geächtet sein und verloren.
    Andern Tages, unauffällig gekleidet, wie es sich ziemte, stellte er sich in der Santa Casa ein. Man führte ihn in einen kleinen, alltäglichen Raum. Ein Richter kam, ein stiller Herr in Priestertracht, bebrillt, gefolgt von einem Sekretär. Akten waren mit einem Mal auf dem Tisch, auch eine Mappe mit den Caprichos. Es war eine jener ersten Mappen, die er für die Probedrucke hatte anfertigen lassen. Drei dieser Mappen hatte Señor Martínez, eine die Osuna, eine Miguel. Es hatte keinen Sinn zu rechnen und zu grübeln, wie sich die Inquisition diese Mappe verschafft, wer ihn verraten hatte. Da lag die Mappe, nur das zählte.
    In dem kleinen Raum war eine Stummheit, tiefer und bedrückender, als der taube Mann sie jemals gespürt hatte. Niemand rührte die Lippen. Der Richter schrieb auf, was er zu fragen hatte, reichte das Geschriebene dem Sekretär, daß der es protokolliere, dann reichte er’s ihm, Goya.
    In seinen Akten hatte der Richter Goyas Kommentar zu den Caprichos. Er hielt ihn Goya vor. Es war die erste Abschrift, Agustín hatte sie hergestellt, er selber sie korrigiert. Der Richter fragte: »Sollen Ihre Zeichnungen nur das ausdrücken, was in diesem Kommentar steht oder darüber hinaus anderes?« Francisco schaute dümmlich. Er konnte seine Gedanken nicht zusammenhalten; gegen seinen Willen fragte er sich immer nur: Von wem haben sie die Mappe? Von wem den Kommentar? Um sich zu sammeln, betrachtete er genau das Gesicht des Richters und seine Hände. Es war ein stilles, längliches, bräunlichblasses Gesicht, unter der Brille schauten

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