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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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diesen wenig erfreulichen Verhandlungen; ich tu es nur deshalb, weil ich meine Position bei dem Infanten Manuel stärkenmöchte. Die Finsterlinge sollen wieder ins Dämmer zurück, und« – er hellte sich auf – »einer wenigstens soll aus dem Frieden von Amiens Nutzen haben: Francisco Goya.« – »Ich bin mit deinen Kunstanschauungen nicht immer einverstanden, Miguel«, sagte Francisco, »aber du bist ein guter Freund.« Er setzte seinen großen Hut auf, nahm ihn ab vor ihm.
    »Wie lange, denkst du, wird die Konferenz dauern?« fragte er später. »Bestimmt nicht länger als zwei Monate«, antwortete Miguel. »Bis dahin«, überlegte Goya, »bin ich bequem fertig. Drei Tage nach Friedensschluß zeige ich die Caprichos an, eine Woche später kann sie jeder in Madrid sehen. Und kaufen, wenn er das Geld hat«, schloß er vergnügt.
    Miguel, etwas zögernd, sagte: »Ich hätte gern die Caprichos in ihrer endgültigen Form gesehen, bevor du sie in die Welt schickst. Willst du nicht warten, bis ich von Amiens zurück bin?« – »Nein«, sagte schlicht Goya. Miguel bat: »Die Blätter mit Manuel zumindest und die mit der Königin solltest du dir zweimal anschauen.« – »Ich hab sie mir zweitausendmal angeschaut«, erwiderte Goya. »Auch als ich ›Die Familie des Carlos‹ malte, hat einer rabenschwarze Prophezeiungen gemacht. Übrigens«, fuhr er schlau fort, »werde ich in einem ausführlichen Prospekt klarlegen, daß die Caprichos nicht auf Einzelfälle hinzielen und nicht auf bestimmte Persönlichkeiten.« – »Wenigstens die Esels-Folge würde ich ausscheiden«, drängte Miguel. Francisco lehnte ab. »Wer die Caprichos ohne Harm anschaut«, antwortete er vergnügt, »der nimmt sie, wie sie sind. Der Böswillige wird auch in die unschuldigsten Radierungen Böses hineininterpretieren.« – »Sei nicht zu kühn, Francisco!« bat nochmals Miguel. »Überspann es nicht!« – »Hab Dank, Miguel«, antwortete leichtherzig Goya, »und hab keine Bange um mich. Halte dir den Kopf frei für Frankreich. Mach du deine Sache dort gut. Ich werde meine Sache hier schon nicht schlecht machen.«
    In den nächsten Tagen überlegte Goya ein letztes Mal, welche der Caprichos er beibehalten, welche er weglassen sollte. Aber er bedachte nicht, was Manuel beleidigen könnte oderDoña María Luisa, er kümmerte sich nicht um den Hof und nicht um die Politik, vielmehr fragte er sich nur: Bin ich gerecht gegen Cayetana? Und er ließ die heilig lasterhafte »Himmelfahrt« stehen, schied aber aus den »Traum der Lüge und der Unbeständigkeit«.
    Immer mehr wurden ihm die Caprichos zur persönlichen Angelegenheit. Sie wurden ihm ein Tagebuch, die Chronik des eigenen Lebens.
    Jetzt störte es ihn, daß vornean das Blatt war mit jenem Goya, der sich über den Tisch wirft, umringt von den Gespenstern. Mochte dieses Blatt irgendwo später seinen Platz finden, vielleicht vor dem zweiten Teil, der Gespenster-Folge; aber das Gesamtwerk einzuleiten, dazu taugte es nicht. Der Goya dieser Radierung war idealisiert, er war viel zu schlank und viel zu jung. Vor allem aber war es unwürdig, war es ganz und gar ungehörig, wenn der Goya des ersten Blattes sein Gesicht versteckte. Der Urheber eines so streitbaren Werkes wie der Caprichos mußte sein Gesicht zeigen . Mußte sich hinstellen vor sein Werk, jedem erkennbar. Auf Blatt eins der Caprichos mußte Francisco Goya zu sehen sein, deutlich. Und der Goya von heute mußte es sein. Der Goya, dem Josefa, Martín, Cayetana weggestorben waren, der hinuntergetaucht war in den tiefen, furchtbaren Strudel und wieder herauf. Der Goya, der seine Phantasie gezwungen hatte, sich der Vernunft zu fügen und keine Ungeheuer zu erzeugen, sondern Kunst.
    Er hatte viele Selbstporträts gemalt und gezeichnet, einen jungen Goya, der bescheiden und doch zuversichtlich aus dem Schatten auf einen mächtigen Gönner schaut, einen etwas älteren Goya, einen frechen, kecken, im Torero-Kostüm, der weiß, daß ihm die Welt gehört, dann einen höfischen, geckenhaften Goya, der galant um eine Cayetana scharwenzelt, dann einen Goya, der, wieder aus dem Schatten, aber dieses Mal überlegen, den Kopf der königlichen Familie zuwendet, und zuletzt hatte er gezeichnet einen bärtigen, verzweifelten, von allen bösen Dämonen besessenen Goya.
    Nun also galt es, den Goya von heute zu machen, den Goya, der den argen Weg der Erkenntnis gegangen war und gelernt hatte, sich in die Welt zu fügen, ohne sie anzuerkennen.
    Er kämmte

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