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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mandelförmige, ausdruckslose Augen, die Hände waren mager, wohlgeformt. Endlich gelang es Goya, sich zusammenzureißen. Er sagte vorsichtig: »Ich bin ein einfacher Mann und nicht geschickt, viele Worte zu finden.«
    Der Richter wartete, bis der Sekretär diese Antwort protokolliert hatte. Dann nahm er aus der Mappe eines der Caprichos und hielt es Goya vor. Es war Capricho 23; darauf zu sehen war die Hure im Sünderkleid, welcher ein Sekretär des Heiligen Tribunals das Urteil liest, während eine fromme und neugierig gekitzelte Menge, Kopf an Kopf, starrt und zuhört. Goya schaute auf das Blatt, welches die magere Hand ihm hinhielt. Es war eine gute Zeichnung. Wie die ungeheure Armesündermütze in den leeren Raum stach, wie das Gesicht der Frau und ihre Haltung nichts war als Staub und Dreck und Vernichtung, das war vortrefflich, und der professionell stumpfe, eifrig lesende Sekretär, der genauso aussah wie der hier protokollierende, und dieses Meer von Köpfen, neugierig lüsternen und doch andächtig stumpfen, das alles war sehr gut, er brauchte sich dieser Zeichnung nicht zu schämen. Der Richter legte sie zurück auf den Tisch und hielt ihm, alles mitgemessenen Bewegungen, den Kommentar vor. Da hatte, zu diesem Capricho 23, Goya geschrieben: »Eine wackere Frau, die für ein Butterbrot alle Welt so fleißig und ersprießlich bedient hat, so zu behandeln, schlimm, schlimm!« Der Richter fragte: »Was haben Sie damit sagen wollen? Wer handelt schlimm an dieser Frau? Das Heilige Gericht? Oder wer sonst?« Die Frage stand vor Goya, körperhaft, in zierlichen, deutlichen Buchstaben, ungeheuer gefährlich. Er mußte achtgeben mit seiner Antwort, sonst war er verloren. Und nicht nur er, sondern auch sein Sohn und dessen Söhne bis in die fernste Zukunft.
    »Wer handelt schlimm an dieser Frau?« stand es noch immer vor ihm, griff es nach ihm. »Das Schicksal«, sagte er. Das glatte, längliche Gesicht blieb unbewegt. Die magere Hand schrieb: »Was verstehen Sie unter Schicksal? Die göttliche Vorsehung?«
    Seine Antwort war keine Antwort gewesen. Die Frage, nur in einem andern Gewand, stand noch immer vor ihm, höflich, grinsend, drohend. Er mußte eine Antwort finden, eine gute, glaubwürdige. Er suchte krampfhaft, es gab keine Antwort. Sie hatten ihn in der Falle. Die Brille vor den ruhigen Augen des Richters glitzerte und flirrte. Francisco dachte und suchte und suchte und dachte. Weder der Richter noch der Sekretär rührten sich, und die flirrende Brille ließ nicht ab von ihm. Heiligste Jungfrau von Atocha, betete Goya in seiner Seele, laß mich eine Antwort finden! Laß mir eine gute Antwort einfallen! Wenn du dich meiner nicht erbarmst, erbarme dich meines Sohnes!
    Mit einer ganz kleinen Bewegung des Stiftes wies der Richter auf das Geschriebene. »Was verstehen Sie unter Schicksal? Die göttliche Vorsehung?« fragten Hand und Stift und Papier. »Die Dämonen«, sagte Goya und war sich bewußt, daß seine Stimme heiser klang. Der Sekretär protokollierte.
    Noch eine Frage, und noch eine, und noch zehn, und eine jede war Folter, und jede Spanne zwischen Frage und Antwort eine Ewigkeit.
    Nach Ewigkeiten und abermals Ewigkeiten war das Verhör zu Ende. Und nun ging der Sekretär daran, das Protokoll zur Unterschrift fertigzumachen. Goya saß da und schaute zu, wie die Hand schrieb, es war eine geschickte, doch plumpe und vulgäre Hand. Das Zimmer war ein alltäglicher Raum, darin stand ein alltäglicher Tisch mit Akten, davor saß ein wohlerzogener Herr in Priestertracht mit einem stillen, bebrillten, höflichen Gesicht, und eine alltägliche Hand schrieb ruhig und gleichmäßig. Aber Goya war es, als würde der Raum immer finsterer, grabähnlicher, als rückten die Mauern immer enger auf ihn ein, als drückten sie ihn hinaus, als fiele er durch die Zeit und aus der Welt.
    Der Sekretär schrieb unerträglich langsam. Goya wartete darauf, daß das Protokoll fertig werde, und wünschte doch, der Sekretär möge noch langsamer schreiben, er möge nicht fertig werden, niemals. Denn wenn er fertig ist, dann wird man ihm das Protokoll zur Unterschrift vorlegen, er wird unterzeichnen müssen, und sowie er unterzeichnet hat, werden die Grünen kommen und ihn fortschleppen, und er wird für immer in den Kellern verschwinden. Die andern werden fragen, wo er ist, sie werden zusammensitzen und große Worte machen. Aber tun werden sie nichts, und er wird verfaulen in seinem Keller.
    Er hockte da, er wartete, er spürte die

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