Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Raum, dem stolzesten, prunkvollsten Mausoleum Europas, zwischen Wänden, überdeckt mit Jaspis und schwarzem Marmor. Errichtet aber war die Grabstätte unter dem Hochaltar der Capilla mayor, so daß der Priester, der die Hostie hob, genau über den toten Königen stand und diese teilhaben konnten an der Gnade.
Hier also, zwischen den Bronzesärgen, in denen die Reste seiner Vorgänger ruhten, stand der Vierte Carlos.
Auf die schlicht und edeln Lettern
Schaute er, die ihre Namen
Nannten, und auf jene beiden
Särge, die noch ohne Inhalt
Warteten; des einen Aufschrift
War: »Don Carlos, Vierter seines
Namens«, die des andern aber:
»Königin María Luisa«.
Fünf Minuten blieb er; also
Wollte es der Brauch. Er zählte
Bis dreihundert. Dann verließ er
Das Gewölbe, stieg die Stufen
Aufwärts, schnell und immer schneller.
Hallend durch die Kirche ging er,
Durch den Hof, vorüber an den
Königen von Juda, eilig,
Blicklos. Stieg hinauf in seine
Hellen, heitern Räume. Hier dann,
Zwischen angenehmen Bildern,
Schlüpfte er aus seiner schweren
Düstern Tracht und zog sich um, zu
Jagen.
15
Goya wurde nicht im Escorial selber untergebracht, sondern in der Posada von San Lorenzo. Er hatte das erwarten müssen; der Escorial reichte trotz seiner Größe nicht aus, alle Gäste des Hofes aufzunehmen. Gleichwohl war er verstimmt.
Don Miguel kam. Goya fragte nach Doña Lucía. Ja, sie war hier, es ging ihr gut; Miguel war etwas zurückhaltend. Lebhafter wurde er, als man auf Politik zu sprechen kam. Die Friedensverhandlungen, erzählte er, die man in Basel mit den Franzosen führe, gingen nicht recht voran. Frankreich weigere sich, den kleinen Sohn und die Tochter des toten Louis des Sechzehnten herauszugeben. Spanien habe nun aber einmal seinen Stolz darein gesetzt, die königlichen Kinder zu befreien, und Don Manuel wolle in diesem Punkte nicht nachgeben.
Später traf Goya den Abate Don Diego und Doña Lucía. Der Abate berichtete Weiteres über die politische Situation. Militärisch sei der Krieg verloren. Aber nur die Königin sei vernünftig und willens, auf die Kinder Frankreichs zu verzichten,damit endlich Friede werde. Carlos zögere, aufgehetzt von Don Manuel. Der nämlich spiele mit der Idee, die kleine französische Prinzessin zu heiraten, um so den Titel eines souveränen Fürsten zu erlangen.
»Und unsere Pepa bestärkt ihn in seinen Plänen«, erzählte Lucía, ihre schleierigen, weit auseinanderstehenden Augen schienen Goya doppelt spöttisch und verschmitzt. »Ist Pepa noch immer hier?« fragte er, unangenehm überrascht. Der Abate erläuterte: »Seit der Entlassung des Admirals Mazarredo hat Señora Tudó Schwierigkeiten wegen ihrer Pension. Sie ist hier, um bei Hofe zu petitionieren.« – »Die Königin wundert sich«, ergänzte Lucía, »daß Señora Tudó die Entscheidung nicht in Madrid abwartet. Aber Sie kennen unsere Pepa. Sie ist nun einmal hier und will nicht zurück. Sie hat sich’s in den Kopf gesetzt, ihr Manuel müsse die Tochter des Königs von Frankreich heiraten. Sie singt ihm jeden zweiten Tag die Ballade vor von dem Jüngling Ramiro, der heldisch die Infantin entführt.« – »Soviel ist gewiß«, meinte der Abate, »die Anwesenheit Señora Tudós im Escorial macht die Aufgabe unserer Friedensdelegation nicht leichter.«
Es mißfiel Goya, daß seine frühere Pepa in die Geschäfte der Fürsten eingriff. Das ziemte sich nicht, das verstieß gegen die gottgewollte Ordnung. »Sie sollten sie besuchen, Don Francisco«, meinte freundlich und hinterhältig Lucía. »Sie wohnt in der unteren Posada.« Francisco beschloß, Pepa aus dem Weg zu gehen.
Den Morgen darauf begab er sich in den Escorial, um, wie es die Sitte vorschrieb, dem Lever der Königin beizuwohnen. Er wußte nicht, ob Doña Cayetana Dienst haben werde und ob er wünschte, sie zu sehen, oder ob er sich davor fürchtete.
Das Vorzimmer war voll von geputzten Herren und Damen. Da war der Abate, da war der Botschafter des königlichen Frankreichs, Monsieur de Havré, da war auch – Franciscos Laune wölkte sich – Carnicero, sein Berufsbruder, der Pfuscher, der sich auf nichts verstand als auf Effekte und gesalzene Preise.
Die Flügeltür des Schlafraums öffnete sich. An ihrem Putztisch saß die Königin von Spanien. Zeremoniös, mit genau vorgeschriebenen Bewegungen, verrichteten die Damen des Hochadels ihren Dienst; diese Herzogin überreichte den Rock, diese Gräfin die Jacke, diese Marquesa die Bänder.
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