Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Langsam, auf vielen klugen Umwegen, war er ihr nähergekommen, nun sah sie die politischen Dinge mit seinen Augen, hatte, wie er, ihr spitzbübisches Vergnügen an dem ironischen Sakrileg dieser Tertulia. Das hätte sich der Zweite Philipp, der große Errechner der Zukunft, nicht träumen lassen, daß sich über seinem Grabe der Erste Minister des Reiches mit seiner Freundin verlustieren werde.
An diesem Abend sang Pepa eine ihrer Romanzen, eine zweite, eine dritte. Sie sang die Romanze von dem König Don Alfonso, der sich in Toledo in eine Jüdin verliebt, Raquel la Fermosa, in »die Schöne Rahel«, und sieben Jahre mit ihr verlebt, seine Königin, die englische Leonora, allein lassend. Dann aber empören sich die Granden und schlagen die Jüdin tot. Der König trauert maßlos. »Seine Jüdin«, sang Pepa, »seine Jüdin ihm entrissen, / Stand Alfonso trüb und klagte. / Sehnsucht ihm und Gram um Rahel / Mörderisch am Herzen nagte.« Dann aber kommt ein Engel und hält ihm seine Schuld vor. Er bereut und schlägt zur Buße tausend Mauren tot.
So sang Pepa. Die andern hörten nachdenklich zu. »Unsere Pepa«, sagte scheinbar zusammenhanglos Don Manuel, »will mich durchaus zu einem altspanischen Helden machen.«Und Pepa, ebenso zusammenhanglos, antwortete: »Ich habe keinen Tropfen jüdischen oder maurischen Blutes in mir. Ich bin von altkastilischer Reinheit«, und sie bekreuzte sich. »Ich weiß«, beeilte sich Don Manuel zu erwidern, »wir alle wissen es.«
»Du singst noch besser als früher, Pepa«, sagte Goya, als er Gelegenheit hatte, mit ihr allein zu reden. Sie schaute ihm aus ihren grünen Augen voll ins Gesicht, auf ihre schamlose Art. »Meine Romanzen sind schöner als die Wirklichkeit«, sagte sie. Er sagte: »Du interessierst dich jetzt für Politik, höre ich?« Sie antwortete freundlich: »Ich interessiere mich nicht für Politik, Don Francisco, ich interessiere mich für Spanien. Und für Don Manuel. Als mein seliger Felipe noch lebte, und auch während meiner Zeit mit dem Admiral, interessierte ich mich für die Marine. Als Sie und ich befreundet waren, für Malerei. Erinnern Sie sich, wie ich Sie darauf aufmerksam machte, daß der Arm Señor Mazarredos auf Ihrem Porträt zu kurz geraten war? Jetzt interessiere ich mich für Don Manuel. Er ist der größte Staatsmann Spaniens, warum soll er nicht der größte der Welt werden? Aber glauben Sie nicht, daß ich meine alten Freunde vergesse. Don Manuel hat auf meine Anregung dem König nahegelegt, er möge die Stelle des Ersten Malers neu besetzen. Leider ist vorläufig Don Carlos eigensinnig und will gerade dieses Gehalt sparen.«
Goya blieb ruhig. »Ich an deiner Stelle, Pepa«, sagte er, »würde es dem König von Spanien und dem Konvent der französischen Republik überlassen, was aus den Kindern des Sechzehnten Louis werden soll.« Nach wie vor wandte sie keinen Blick von ihm. »Sie sind klug, Don Francisco«, antwortete sie. »Sie sind nicht wie die Männer meiner Romanzen. Sie haben immer gut verstanden, Ihr Werk nützlich zur Geltung zu bringen. Wahrscheinlich ist auch der Rat gut, den Sie mir geben. Übrigens habe ich ihn befolgt, schon bevor Sie ihn mir gaben.«
Goya dachte: Hilf einer Frau aus dem Wasser, und sie wird behaupten, du seiest hineingefallen. Gleichzeitig, wiewohl eres kaum in Worten hätte ausdrücken können, wußte er mit seinem guten, bäuerischen, männlichen Instinkt, was sie spürte. Gerade daß sie sich mühte, ihn zu kränken, bewies, wie sehr sie an ihm hing. Er brauchte ihr nur zu winken, und bei all ihrem Phlegma spränge sie ihm ins Bett. Mochte sie ihn verhöhnen, mochte sie sich überlegen glauben, er fühlte Mitleid.
Er wartete darauf, wie Manuel und Pepa den Abend beschließen würden. Werden sie es wagen, die Nacht durch zusammenzubleiben im Escorial, unter einem Dach mit der Königin, über der Gruft Karls des Fünften und des Zweiten Philipp?
Lucía und der Abate verabschiedeten sich. Pepa machte keine Anstalten zu gehen. Auch Goya mußte wohl nach Hause. »Gute Nacht, Don Francisco«, sagte Pepa mit ihrer trägen, angenehmen Stimme. »Gute Nacht, Francho«, sagte sie und schaute ihm voll ins Gesicht.
Durch den Vorraum schritt Francisco.
Schläfrig kauerte die Alte,
Die Dueña; grinsend nickte
Sie, stand auf und neigte tief sich.
Er bekreuzte sich. Ihm schien die
Dürre Gegenwart der Alten
Unterm Dach des Escorial noch
Lästerlicher als die Nacht Don
Manuels und seiner Pepa.
16
Es wurde in
Weitere Kostenlose Bücher