Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Königs werden. Zurück ins Nichts fiel er. Wenn er aber nicht der Frau hier, solange noch ihr letztes Wort in der Luft ist, ein beglücktes Ja in ihr hochmütiges, spöttisches, wunderbares Gesicht hineinsagt, dann wird sie den Korridor weitergehen und ihm für immer entschwebt sein.
Schon machte sie eine winzige, kaum wahrnehmbare Bewegung weiterzugehen, und um ein kleines auch hatte sich der Spott ihres spöttischen Mundes vertieft. Er wußte, diese unheimliche Frau hatte genau erkannt, was in ihm vorging. Angst packte ihn, er habe verspielt. Schnell, heiser, stockend, auf spanisch, sagte er: »Habe ich recht verstanden? Ich darf Ihnen Mittwoch abend meine Aufwartung machen, in Madrid?« Sie, immer französisch, antwortete: »Sie haben verstanden, mein Herr.«
Er wußte nicht, wie er in sein Zimmer gekommen war.Schwer, gedankenlos, saß er, eine lange Weile. Alles, was er spürte, war: Es hat sich entschieden, es ist entschieden.
Dann aber begann er, bäuerlich schlau zu kalkulieren. Er hielt es für angemessen, daß das Schicksal einen hohen Preis von ihm verlangte für seine Nacht mit der Alba; aber mußte es gleich seine ganze Karriere sein? Es mußte sich doch ein schlagender, triftiger Grund finden lassen, die Sitzung bei der Königin abzusagen. Wenn zum Beispiel jemand krank wurde, sterbenskrank, jemand aus seiner nächsten Familie. Eine Depesche solchen Inhaltes mußte er dem Ersten Kammerherrn der Königin vorlegen.
»Wann gehst du endlich nach Madrid, zu Ezquerra?« fragte er eine Stunde später mit etwas angestrengter Barschheit Agustín. »Wie lange willst du mich noch auf die Farben warten lassen?« Agustín schaute ihn verwundert an. »Wir kommen noch mindestens drei oder vier Tage mit den Farben aus«, sagte er. »Außerdem kann der tägliche Bote sie besorgen. Wenn ich ihm klare Instruktionen mitgebe, weiß Ezquerra Bescheid.« Aber Goya, finster, bestand: »Du gehst nach Madrid! Noch heute!« – »Bist du verrückt?« antwortete Agustín. »Du hast fest versprochen, das Bild zum Namenstag Don Manuels fertigzumachen. Du selber hast von der Königin die vier Sitzungen verlangt. Und da willst du mich wegschicken?« – »Du gehst nach Madrid!« befahl Goya. Und heiser, noch mürrischer und entschiedener, setzte er hinzu: »Du wirst dort erfahren, daß meine kleine Elena ernstlich erkrankt ist und daß Josefa auf meine sofortige Rückkehr drängt.« Agustín, tiefer erstaunt, sagte: »Ich verstehe kein Wort.« – »Du brauchst nicht zu verstehen«, erwiderte ungeduldig Goya. »Die Botschaft sollst du mir bringen, daß meine Elenita erkrankt ist. Das ist alles.«
Agustín stakte auf und ab, bestürzt, angestrengt nachdenkend. »Du willst also der Königin absagen«, fand er schließlich folgerichtig, »du willst nach Madrid.« Goya, gequält, fast flehend, sagte: »Ich muß nach Madrid. Mein Leben hängt daran.« – »Und du findest keinen andern Vorwand?« fragtezögernd Agustín. Goya selber wurde jetzt unheimlich, daß er sich diesen Vorwand ausgedacht hatte, aber er fand keinen andern. »Laß mich jetzt nicht im Stich«, bat er dringlich. »Du weißt, wie ich arbeite, wenn wir einen Termin haben. Das Bild wird fertig, und es wird gut. Laß mich jetzt nicht im Stich.«
Seitdem Agustín die Zeichnung des Mittagsgespenstes gesehen hatte, wußte er, daß Francisco im Begriff war, eine seiner ganz großen Tollheiten zu machen, und daß niemand und nichts ihn zurückhalten konnte. »Ich geh nach Madrid«, sagte er unglücklich, »du bekommst deinen Brief.« – »Danke«, sagte Goya. Und: »Versuche zu begreifen«, bat er.
Goya, als Agustín fort war, bemühte sich zu arbeiten. Er war diszipliniert, doch er konnte seine Gedanken nicht zusammenhalten, sie kreisten um die Nacht in Madrid, und wie sie verlaufen werde. Schwärmerisch Verliebtes klang in ihm auf; dann wieder sagte er sich und stellte sich vor das Unflätigste, was er in den Vorstadtkneipen gehört und gesehen hatte.
Er war zusammen mit Lucía und dem Abate. Er fühlte auf sich den wissenden, leicht spöttischen Blick Lucías. Wohl hatte er sich die Technik erworben, mit Frauen umzugehen, mit Herzoginnen und mit Huren, aber in der Nacht des Mittwochs, besorgte er, werde er sich läppisch anstellen. Er beneidete den Abate um seine Gewandtheit, um seine oft von ihm gehöhnte Eleganz. Er hatte Furcht vor dem Lachen der Alba und mehr noch vor ihrem Lächeln.
Lange nach Mitternacht, Goya lag in unruhigem Schlaf, kam Agustín. Bestaubt,
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