Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
in Reisekleidung, stand er in der Tür, ein Diener mit einer Fackel hinter ihm. »Hier haben Sie Ihren Brief«, sagte er, der Brief schien schwer in seiner Hand. Francisco hatte sich halb aufgerichtet. Er nahm den Brief, hielt ihn, ohne ihn zu öffnen, auch er, als wiege er schweres Gewicht. »Der Brief ist so, wie Sie ihn brauchen«, sagte Agustín. »Danke, Agustín«, sagte Goya.
Andern Morgens erklärte Goya dem Ersten Kämmerer der Königin, dem Marqués de Vega Inclán, er müsse zu seinemschmerzlichsten Bedauern auf die ihm gnädigst bewilligten Sitzungen Doña María Luisas verzichten, er setzte den Grund auseinander und überreichte seinen Brief. Der Marqués nahm den Brief, legte ihn ungelesen auf den Tisch und sagte: »Ihre Majestät hätte die Sitzungen sowieso absagen müssen. Der Infant Francisco de Paula ist ernstlich erkrankt.«
Goya starrte den Marqués an,
Blaß. Er sagte ein paar Worte,
Stammelnd, und verließ das Zimmer.
Schwankend, ungebührlich schnell. Der
Kammerherr, leicht angewidert,
Sah ihm nach. Was für Manieren
Diese Künstler haben, dachte
Er. Und so was muß ich dulden
Im Escorial. Gesindel,
Dacht er, Chusma, Pöbel.
19
»Wir gehen ins Theater, ins Cruz«, erklärte die Alba, als er sich bei ihr einfand. »Man gibt ›Die feindlichen Brüder‹, das ist ein dummes Stück, soviel ich hörte, aber Coronado spielt den Narren und die Gizmana die Soubrette, und die Tonadillas sind sicher gut.« Goya ärgerte sich über den beiläufigen Ton, in dem sie ihm das mitteilte. War das die Einleitung einer Liebesnacht?
Eine Menge Burschen warteten am Eingang des Theaters, um die Frauen aus den Wagen und den Sänften steigen zu sehen; das war die einzige Gelegenheit, bei welcher Frauenbeine sichtbar wurden. Die Alba stieg aus der Sänfte. »Was für leckere Beinchen«, rief man ihr zu, »zart, rund, zum Anbeißen.« Goya stand daneben, finster. Er hätte gern zugeschlagen, aber er fürchtete den Skandal.
Um ins Innere zu kommen, mußte man einen langen, dunklen Korridor passieren. Lärm und Gedränge war, Hausierer boten Wasser an, Süßigkeiten, Texte der Gesänge, es stank und war schmutzig. Man wurde gestoßen und konnte Schuhe und Kleider nur mit Mühe frei von Kot halten. Die wenigen Logen – Frauen in Männerbegleitung waren nur in den Logen zugelassen – waren vergeben, und es kostete Goya lange Verhandlungen und ein unverschämtes Aufgeld, ehe er eine Loge erhielt.
Kaum hatten sie Platz genommen, da kam Lärm vom Patio, vom Parterre. Die Leute dort, die »Mosqueteros«, hatten sogleich die Alba erkannt. Sie riefen ihr zu, klatschten. Noch brennender interessiert, wiewohl weniger lärmend, waren die Frauen; sie saßen in dem ihnen reservierten Teil des Theaters, im »gallinero«, dem Hühnerstall, alle gleich in den dort vorgeschriebenen schwarzen Kleidern und weißen Kopftüchern, und alle jetzt der Loge zugewandt, gackernd, lachend.
Goya hielt das massige, umwölkte Gesicht krampfhaft unbewegt. Cayetana tat, als gälte der Lärm einer andern, und schwatzte mit ihm, freundlich, gleichmütig.
Das Stück »Die feindlichen Brüder« war wirklich dumm, der schwache Aufguß eines Schauspiels von Lope. Der schurkische jüngere Sohn verdrängte den edlen älteren aus der Liebe des Vaters und aus dem Herzen seines Mädchens. Schon im ersten Akt fand ein Duell auf einem Friedhof statt, verschiedene Gespenster erschienen, der böse Bruder trieb den braven in die Wälder und sperrte den Vater in einen Hungerturm. Die Bauern empörten sich gegen den schlimmen neuen Herrn, das Publikum auch, und als der Darsteller des Polizeihauptmanns, des Alguacil, aus dem Zuschauerraum auftrat, um dem bösen Bruder beizustehen, spuckten die Zuschauer ihn an und wollten ihn verprügeln; er mußte beteuern, er sei doch nur der Schauspieler Garro.
»Sind Sie eigentlich ein ›Chorizo‹ oder ein ›Polaco‹?« fragte die Alba den Maler. Das Publikum Madrids, leidenschaftlich an seinem Theater interessiert, war seit einem halbenJahrhundert in zwei Parteien gespalten: die einen nannten sich nach einem längst verstorbenen Komiker »Würstchen – Chorizos«, die andern »Polacos«, nach dem Namen eines Abate, der eine Streitschrift für die rivalisierende Truppe veröffentlicht hatte. Goya gestand, daß er ein Chorizo war. »Das hab ich mir gedacht«, sagte böse die Alba. »Wir Albas sind Polacos, schon mein Großvater war es.«
Die Tonadilla, die nach dem ersten Akte gesungen wurde, war lustig und
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