Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
vereinigte beide Parteien in lärmender Freude. Dann begann der zweite Akt, im Turm, mit Kettengerassel und knisterndem Stroh. Ein männlicher Engel, zeitgenössisch in Kniehosen, doch an den Schultern beflügelt, tröstet den eingekerkerten Greis. Das Mädchen, den Verleumdungen des bösen Bruders mißtrauend, trifft den Grafen im rauhen Walde, das Publikum, gespannt, gerührt, war still geworden. Die Alba meinte, jetzt könne man ohne Aufsehen gehen.
Sie atmeten die frische, abendliche Luft. »Wir gehen in eine Ihrer Tavernen«, befahl die Alba. Goya, absichtlich mißverstehend, schlug ein elegantes Restaurant vor. »Zu Ceferino?« fragte er. »In eine Ihrer Tavernen«, sagte die Alba. »In Abendkleidern können wir nicht in die Manolería«, meinte Goya unbehaglich; die Manolería war jener vorstädtische Bezirk, in dem die Majos und Majas wohnten. »Das brauchen Sie mir nicht zu erklären«, sagte mit ihrer kleinen, geschwinden Stimme die Alba. »Ich lasse mich nach Hause bringen, ziehe mich um und erwarte Sie.«
Er ging nach Hause, mißmutig. Hatte er dafür so viele Qual auf sich genommen, sich den gefährlichen Brief über die kleine Elena ausgedacht, seine Karriere aufs Spiel gesetzt? Qué vergüenza, dachte es in ihm in der schollerigen Stimme Agustíns.
Bevor er sich umkleidete, ging er, auf Zehenspitzen, ins Kinderzimmer und schaute sich nach der kleinen Elena um. Sie schlief friedlich.
Er legte seine alte Majo-Tracht an. Sein Unmut schwand,glückliche Erwartung stieg in ihm hoch. Wohl waren die einzelnen Kleidungsstücke abgebraucht, und die Hose, die stark grüne Weste, der kurze, rote Rock saßen ihm knapp. Aber er hatte viel erlebt in dieser Tracht, und es waren gute Erlebnisse gewesen. Als er gar die breite Schärpe umband und die Navaja, das Messer, hineinsteckte, fühlte er sich ein anderer Mensch, jung, abenteuerlustig. »Zieh die Kutte an, und du kannst Latein«, dachte er das alte Sprichwort. Dann hüllte er sich in den riesigen Mantel, der eigentlich verboten war, in die Capa, und setzte den breitkrempigen, das Gesicht tief überschattenden Hut auf, den Chambergo.
So, bis zur Unkenntlichkeit verhüllt, machte er sich auf den Weg. Er schmunzelte, als ihn der Türsteher der Alba nicht einlassen wollte. Er zeigte ihm sein Gesicht, und der Mann grinste. Auch die Alba lächelte bei seinem Anblick, wie ihm schien, anerkennend. Sie selber trug einen reichen, bunten Rock und ein farbig besticktes, ausgeschnittenes Mieder. Das Haar trug sie im Netz. Das Ganze kleidete sie gut, und man mochte sie als eine Maja hinnehmen.
»Wohin gehen wir?« fragte sie. »In den Weinschank der Rosalía im Barquillo«, antwortete Goya. »Aber Sie werden Ärger mit der Mantilla haben«, mahnte er; denn Eufemia legte ihr die Mantilla um, und »Tapadas«, Verschleierte, wurden in der Manolería nicht gerne gesehen. Cayetana, ohne zu antworten, zog die Mantilla tiefer übers Gesicht. »Lassen Sie mich mitkommen, mein Lämmchen«, bat die Dueña. »Ich werde sterben vor Angst, solange ich Sie in der Manolería weiß.« – »Unsinn, Eufemia«, sagte streng Cayetana. »Don Francisco ist Manns genug, mich zu beschützen.«
Die Weinschenke war voll. Man saß, trank und rauchte, einsilbig, bemüht um kastilianische Gravität. Die meisten Burschen hatten ihre breitkrempigen Hüte auf. Die Frauen waren derb, viele hübsch, alle unverschleiert. Dicker Rauch lag überm Raum. Jemand spielte auf der Guitarre.
Man betrachtete die neuen Gäste mit gehaltener Neugier, nicht eben freundlich. Einer bot Goya geschmuggelten Tabakan. »Wieviel soll er kosten?« fragte Goya. »22 Realen«, verlangte der Mann. »Hältst du mich für einen Gabacho?« fragte Goya; mit diesem verächtlichen Wort bezeichnete man den Fremden, im besondern den Franzosen. »16 Realen zahle ich, wie jeder.«
Eines der Mädchen mischte sich ein. »Kaufen Sie nicht wenigstens Ihrer Dame eine Zigarre, mein Herr?« fragte sie. »Ich rauche nicht«, sagte unter ihrem Schleier die Alba. »Das sollten Sie aber«, sagte das Mädchen. Und der Bursche neben ihr erklärte: »Rauchen reinigt das Gehirn, reizt den Appetit und hält die Zähne gesund.« – »Freilich müßte die Dame ihre Mantilla herunterlassen«, stichelte das Mädchen. »Sei ruhig, Zanca, Storchenbein«, sagte der Bursche, »und mach keinen Stunk.« Aber die Zanca bestand: »Sagen Sie doch Ihrer Dame, Señor, sie soll die Mantilla abnehmen. In den Anlagen wird man verschleiert nicht zugelassen, hier
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