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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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lange, um zu entscheiden, wer unter den vieren Olavide war; denn er hatte kein Gesicht mehr, es war verwischt und erloschen.
    Ein Sekretär betrat die Kanzel und las die Eidesformel, durch welche sich die Anwesenden verpflichteten zu striktem Gehorsam vor dem Heiligen Offizium und zu steter Verfolgung jeglicher Ketzerei. Und alle sprachen amen.
    Dann predigte der Prior der Dominikaner. Sein Text war: »Steh auf, o Herr, und halte Gericht in deiner Sache«, und er predigte kurz und wild. »Das Heilige Tribunal«, verkündete er, »und diese Bühne mit den Sündern, die bestimmt sind zu leiden, sind ein einprägsames Bild dessen, was wir alle eines Tages beim Jüngsten Gericht schaudernd erleben sollen. Aber, fragen die Zweifler, hast du nicht noch andere Feinde, o Herr, als die Juden, Mohammedaner und Ketzer? Beleidigen nicht Tag um Tag auch zahllose andere deine Heiligkeit durch andere Sünden und Verbrechen? Ganz gewiß, antwortet Gott, aber das sind läßliche Verbrechen, die ich vergebe. Unversöhnlichen Abscheu habe ich nur vor den Juden, Mohammedanern und Ketzern, denn sie beschmutzen meinen Namen und meine Ehre. Das ist es, was David sagen wollte, als er den Herrn anrief: ›Wach auf aus der Milde, in welche übergroßes Mitleid dich einlullt. Steh auf, o Herr, und halte Gericht in deiner Sache. Schlag nieder mit der Wucht deines Zornes die Heiden und Ungläubigen.‹ Und nach diesen Worten handelt heute das Heilige Offizium.«
    Dann wurden die Urteile über die vier Ketzer verlesen. Es erwies sich, daß man Pablo Olavide zusammengespannt hatte mit Leuten ohne Rang und Namen, wohl um zu zeigen, daß vor dem Gericht der Inquisition der Hohe gleich war dem Geringen.
    Zunächst vorgerufen wurde José Ortiz, Koch, früher im Seminar von Palencia. Er hatte Zweifel geäußert an der Wunderkraft des Bildes Unserer Jungfrau del Pilar. Er hatte weiterhin erklärt, das Schlimmste, was ihm nach seinem Tode zustoßen könne, sei, daß er von den Hunden gefressen werde. Die Äußerung von den Hunden wurde als geringfügige Ketzerei angesehen, da auch Leichname von Märtyrern zur Beute von Hunden, Raubvögeln, sogar von Schweinen geworden seien. Die andere Äußerung aber wurde als eine monströse Leugnung des Dogmas befunden. Verurteilt wurde der Mann, in öffentlicher Prozession durch die Stadt geführt zu werden und zweihundert Peitschenhiebe zu erhalten; sodann sei er den weltlichen Behörden zu übergeben zur Abbüßung einer fünfjährigen Galeerenstrafe.
    Nach ihm aufgerufen wurde die Buchhändlerin Constancia Rodríguez. Es hatten sich unter ihren Vorräten siebzehn Bücher gefunden, die auf dem Index standen, drei in gefälschten Einbänden mit unverfänglichen Titeln. Die Frau wurde, außer zu den üblichen »Nebenstrafen« Exil, Vermögenskonfiskation und dergleichen, verurteilt zur Strafe der Vergüenza, das heißt, sie sollte mit nacktem Oberleib durch die Stadt geführt werden, während ein Herold ihre Schuld und ihre Strafe verkündete.
    Der Lizentiat Manuel Sánchez Velazco hatte im Bereich der Kirche San Cayetano blasphemische Äußerungen getan, der Heilige könnte ihm doch nicht helfen und dergleichen. Er kam mit milder Sühne davon. Er wurde auf Lebenszeit aus Madrid verbannt, und es wurden ihm die Rechte abgesprochen, Ehrenstellen zu bekleiden oder geachtete Berufe auszuüben.
    Die Urteile wurden langsam verlesen, mit pedantischer Aufzählung der Gründe und Beweise. Die geladenen Gästehörten zu, gelangweilt und erregt, sie warteten auf das Urteil des Olavide. Aber sie konnten sich nicht entziehen einem unbehaglichen Mitleid mit den kläglichen Gestalten in den grotesken Sambenitos, deren Leben für immer vernichtet war durch ein unvorsichtiges Wort, und nicht entziehen konnten sie sich der Furcht vor dem Ketzergericht, das mit Millionen Ohren leichtsinnige Äußerungen belauschte und jeden vernichten konnte, den es sich ausersah.
    Endlich wurde Pablo Olavide aufgerufen, und zwar mit allen seinen Titeln: früherer Auditor des Vizekönigtums Perú, früherer Gouverneur von Sevilla, früherer Generalgouverneur der Nuevas Poblaciones, früherer Kommandeur des Ordens von Santiago, früherer Ritter des Andreaskreuzes.
    Sehr still war es in der menschenvollen Kirche, als der kleine Mann, riesig erhöht durch die Ketzermütze, vorgeführt wurde. Er versuchte zu gehen, aber der Geistliche an seiner rechten und der Wärter an seiner linken Seite mußten ihn stützen und ziehen, man hörte seine Füße in den

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