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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Dominikaner trug das grüne Kreuz, umgeben von fackeltragenden Mönchen, die das Miserere sangen. Auf der reichbestickten Standarte aus purpurnem Damast waren das Wappen des Königs zu sehen und das des Heiligen Offiziums, Kreuz, Schwert und Rute. Der Standarte folgten die Särge der ausgegrabenen toten Ketzer, deren Urteile sollten verkündet werden, sowie die Bildnisse der flüchtigen. Eine riesige Menge säumte die Straßen und kniete vor der Standarte und dem grünen Kreuz.
    Des andern Morgens, in frühester Frühe, versammelten sich in der Kirche San Domingo El Real die geladenen Gäste, Minister, Generäle, der Rektor der Universität, führende Schriftsteller, alle jene Männer von Rang, die des Fortschritts verdächtig waren; einer Einladung zu einer solchen Feier nicht zu folgen, wäre, selbst im Fall einer Krankheit, dem Eingeständnis der Ketzerei gleichgekommen.
    Ferner auch waren, um sich ihres Sieges zu freuen, jene Männer geladen, die den Olavide zu Fall gebracht hatten, der Erzbischof Despuig von Granada, der Bischof von Osma, Bruder Romuald aus Freiburg, die Männer der Mesta, welche durch die Siedlungen Olavides ihre unentgeltlichen Weideplätze verloren hatten.
    Sie alle, Freunde und Feinde, saßen auf einer großen Tribüne, ihnen gegenüber wartete eine zweite Tribüne auf die Herren der Inquisition. Zu ihren Häupten hing das berühmte Bild des Heiligen Domingo; er lag auf der Erde, erschöpft durch Kasteiung, und die Heilige Jungfrau ließ erbarmungsvoll Milch aus ihrer Brust in seinen Mund laufen.
    In der Mitte der Kirche war ein Podium aufgeschlagen, darauf standen die Särge der toten und, an schwarzverhängte Kreuze gebunden, die Bildnisse der flüchtigen Ketzer; ein zweites Podium wartete auf die Ketzer in Fleisch und Blut.
    Draußen mittlerweile zog die Prozession der Richter und Verbrecher heran. Das Kavallerieregiment von Murcia bildetedie Spitze, afrikanische Kavallerie den Beschluß des Zuges, die ganze übrige Garnison Madrids bildete Spalier. In zwei langen Reihen schritten die Beamten der Inquisition, zwischen ihnen die Sünder.
    Am Eingang der Kirche empfing die Geistlichkeit von San Domingo den Großinquisitor und sein Gefolge. Unmittelbar hinter Lorenzana schritt der Vorsitzende des Heiligen Tribunals der Hauptstadt, Doktor Don José de Quevedo, sowie die drei Ehrensekretäre, Granden der Ersten Reihe alle drei, dann die sechs amtierenden Sekretäre, unter ihnen Don Diego, der Abate. Die Gäste, als der Zug die Kirche betrat, knieten nieder.
    Als sie wieder hochschauten, war auch die Bühne der lebendigen Ketzer besetzt. Gegenüber dem Podium mit den Särgen der toten saßen sie, die lebendigen Ketzer, auf niedriger Bank, auch sie zu Füßen eines schwarzverhängten Kreuzes.
    Es waren ihrer vier, und sie waren angetan mit dem Sambenito, der Zamarra, dem Schandkleid. Gelb und grob hing um sie das sackartige Hemd mit dem schwarzen Andreaskreuz, der Ginsterstrick baumelte ihnen um den Hals, der hohe, spitze Hut, die Coroza, saß ihnen auf dem Kopf, die nackten Füße staken in gelben, groben Stoffschuhen, in den Händen trugen sie ausgelöschte, grüne Kerzen.
    Tief erregt schaute Goya auf die Armensünder in ihren Sambenitos. In allen Kirchen waren solche Schandhemden aufgehängt, und in ihm hoch stieg die Erinnerung an jenen Sambenito, vor dem er als kleiner Junge zum ersten Mal belehrt worden war, was ein solches Schandkleid bedeute. Es war ein altertümlicher Sambenito gewesen, bemalt mit grausigen Teufeln, welche Sünder in die Hölle stürzten; über ihm war verzeichnet der Name und das Verbrechen des Ketzers, der ihn vor hundert oder mehr Jahren getragen hatte. Deutlich erinnerte sich Francisco des Grausens und Entzückens, welches ihm damals der Gedanke bereitet hatte, daß die Nachkommen dieses Ketzers auch heute noch ausgestoßen waren von der Gemeinschaft der Reinen.
    Mit Gier geradezu, mit der Teilnahme eines Besessenen suchte er nach dem Gesicht des Pablo Olavide. Denn in ihren Sambenitos und unter den spitzen Hüten schauten die vier Ketzer beinahe gleich aus, sie hockten vornübergebeugt mit grauen, erloschenen Gesichtern, eine Frau schien unter ihnen, man konnte sie kaum von den Männern unterscheiden. Francisco hatte ein scharfes Gedächtnis für Gesichter, deutlich vor sich sah er den Pablo Olavide, den er vor Jahren getroffen hatte, es war ein schmächtiger, eleganter, beweglicher Herr gewesen mit einem freundlich aufgeweckten Gesicht. Jetzt brauchte Francisco

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