Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
lächerlichen gelben Stoffschuhen über den Steinboden der Kirche schleifen.
Da er sich offenbar nicht aufrecht halten konnte, hieß man ihn niedersitzen. Da hockte er. Sein Oberkörper lehnte schlaff über dem niedrigen Geländer, das den Stand des Beklagten abgrenzte, die spitze, hohe Mütze stach grotesk vor, und ringsum saßen der Erste Minister und der Rektor der Universität und viele hohe Herren und Gelehrte und Schriftsteller, die seine Freunde waren, und auch jene Erbärmlichen, seine Feinde, und sie waren Zeugen seiner Schande.
Das Urteil war ausführlich, wohlerwogen, untermauert mit viel Theologie. Der Beschuldigte hatte zugegeben, unvorsichtige Äußerungen getan zu haben, hatte indessen behauptet, er habe den rechten katholischen Glauben nie aufgegeben und das Verbrechen der Ketzerei nicht begangen. Das Heilige Offizium aber hatte die Schriften und Bücher des Beklagten untersucht, man hatte zweiundsiebzig Zeugen vernommen, und die Schuld Pablo Olavides war erwiesen. Er hatte erklärt, er glaube nicht an Wunder. Hatte bestritten, daß Nicht-Katholikender Hölle verfallen seien. Hatte geäußert, mehrere Kaiser des heidnischen Rom seien manchen christlichen Fürsten vorzuziehen. Hatte Kirchenväter und Scholastiker bezichtigt, sie hätten den Fortschritt des menschlichen Geistes gehemmt. Hatte Zweifel daran geäußert, daß Gebet schlechte Ernte verhüten könne. Das waren mehr als unvorsichtige Äußerungen, das war Ketzerei. Des weiteren war Olavide im Besitz vieler verbotener Schriften gewesen, ja, er hatte den Vorkämpfer des Anti-Christ, den berüchtigten Voltaire, in der Schweiz aufgesucht, ihm Verehrung und Freundschaft bezeigt, und es hatten sich unter seinen Akten Briefe gefunden, die dieser Erzketzer ihm geschrieben hatte. Fernerhin hatte der Beschuldigte vor Zeugen erklärt, das Läuten der Glocken bei Gewittergefahr sei unnütz. Hatte auch während einer Seuche angeordnet, daß die Toten nicht in den Kirchen begraben werden sollten, sondern fern von den Ortschaften in ungenügend geweihter Erde. Kurz, Pablo Olavide war in hundertsechsundsechzig Fällen einwandfrei der Ketzerei überführt.
Die Verlesung dieser hundertsechsundsechzig Fälle dauerte länger als zwei Stunden. Am Ende der zweiten Stunde sank Olavide schräg zur Seite, und jedermann erkannte, er war ohnmächtig geworden. Er wurde mit Wasser bespritzt, und als er nach einigen Minuten wieder zum Bewußtsein gekommen war, ging die Verlesung weiter.
Endlich war man am Schluß. »Aus diesen Gründen«, hieß es, »erklären Wir ihn für einen überführten Ketzer, für ein angefaultes Mitglied der christlichen Gemeinschaft und verurteilen ihn, sich durch Abschwörung seiner Ketzerei mit der Kirche zu versöhnen.« Als Buße wurde ihm auferlegt, acht Jahre in dem Kapuzinerkloster zu Gerona zu verbringen. Damit verbunden waren die üblichen Nebenstrafen. Sein Vermögen wurde konfisziert. Er hatte sich auf Lebenszeit von Madrid und allen königlichen Residenzen fernzuhalten, desgleichen von den Königreichen Perú und Andalusien sowie von den Siedlungen in der Sierra Morena. Auch durfte er keinen Ehrentitel führen und kein Amt bekleiden. Untersagt waren ihm dieBerufe des Arztes, Apothekers, Lehrers, Advokaten, Steuerpächters. Er durfte kein Pferd besteigen, keinen Schmuck tragen, auch keine Kleider von Seide oder feiner Wolle, sondern nur solche von grobem Serge oder sonstigem groben Tuch. Beim Verlassen des Klosters von Gerona sollte sein Ketzerhemd, der Sambenito, in der Kirche der Nuevas Poblaciones aufgehängt werden nebst einem Verzeichnis seiner Ketzereien, auf daß alle Welt darum wisse. Den Nebenstrafen blieben auch seine Nachfahren bis ins fünfte Geschlecht unterworfen.
Viele Kerzen brannten, die Luft in der Kirche war schlecht, kühl und schwül zugleich. Die Geistlichen in ihren altertümlichen Stolen, Kutten, Roben, die großen Herren in ihren Gala-Uniformen saßen still, müde und erregt, schwer atmend zumeist, und hörten zu.
Der Abate, als einer der Sekretäre des Heiligen Tribunals von Madrid, saß unter den Inquisitionsrichtern. Er war ein Freund des Großinquisitors Sierra, den Lorenzana gestürzt und unter Anklage gestellt hatte, und Lorenzana wußte natürlich, daß dieser gestürzte Großinquisitor ihn beauftragt hatte, ein Memorandum auszuarbeiten über die Methoden, das Prozeßverfahren der Inquisition dem Zeitgeist anzupassen. Der Abate war sich also klar darüber, daß er ebenso wie Olavide im Schandkleid
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