Grabesdunkel
antwortete Joakim. »Ich weià nicht, wovon Sie reden.«
»Sie haben auch diese Gabe.«
Joakim hörte sich unsicher lachen. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon Sie reden«, antwortete er.
»Doch«, sagte die Frau am anderen Ende. »Sie können es. Sie müssen es nur zulassen.«
»Was zulassen?«
»Sie müssen nur den Toten zuhören. Den Toten, von denen Sie träumen.«
Joakim reagierte verärgert. »Jetzt reichtâs!«, fauchte er.
Barsch knallte er den Hörer auf. Er machte sich nicht die Mühe, ihren Namen oder ihre Nummer zu notieren, sondern katapultierte das zerknüllte Blatt in den Papierkorb.
Kapitel 23
Das Theatercafé war gesteckt voll. Es war ein beliebtes Promilokal, und Tor Vaksdal gehörte definitiv in diese Kategorie. Der TV-Star kam so oft in das Restaurant, dass die meisten Angestellten schon wussten, wo er am liebsten saÃ. Heute war er in Begleitung seiner Tochter, eines schüchternen, mürrischen Geschöpfs von fünfzehn, sechzehn Jahren. Die nassen Regenjacken hatten sie drauÃen an der Garderobe aufgehängt. Vaksdal hatte sich ein paar Stunden freigeschaufelt, bevor er zurück ins Studio musste, um die abendliche Fernsehdebatte zu moderieren. Jetzt saÃen Vater und Tochter sich schweigend gegenüber, jeder in seine Speisekarte vertieft.
»Was möchtest du essen, Irene?«, fragte Vaksdal.
Keine Antwort.
»Na?«, hakte er nach, diesmal etwas bestimmter.
Sie begegnete seinem Blick. Schüttelte kurz den Kopf.
»Nichts?«, fragte er irritiert.
Die Tochter legte demonstrativ die Speisekarte auf den Tisch. »Nein, Papa. Ich nehme eine Cola light.«
Vaksdals Blick wanderte über ihren mageren Körper. Sie wurde immer dünner. Mehrfach hatte er ihre Mutter darauf angesprochen. Es konnte doch nicht so schwer sein, das Mädchen zum Essen zu bewegen! Aber was wusste er schon â in den Jahren seit der Scheidung hatte seine Tochter ihn schlieÃlich nur an den Wochenenden besucht. Und im letzten halben Jahr hatte sie sich sogar geweigert, bei ihm zu übernachten. Sie wollte sich nur auf neutralem Grund mit ihm treffen, wie hier. Da war es mit den beiden jüngeren Söhnen aus seiner zweiten Ehe einfacher. Mit ihnen gab es nie Probleme, wenn sie sich trafen.
Sie war schwierig, seine Tochter. So war sie immer schon gewesen: trotzig, verschlossen und sauer auf ihn. Vaksdal zwang sich zu lächeln, während er sich über seine Adlernase strich. Er wollte sich das Treffen von ihr nicht verderben, sich nicht durch ihr unverschämtes Benehmen provozieren lassen. Deshalb sagte er: »Natürlich bekommst du eine Cola light, mein Liebes. Und ich nehme das Filet. Sag einfach, wenn du es dir anders überlegst.«
»Das werde ich nicht«, antwortete sie verdrossen.
Vaksdal überhörte geflissentlich ihren Kommentar und versuchte stattdessen, die Aufmerksamkeit des Obers auf sich zu lenken. Er kam und nahm ihre Bestellung auf. Nachdem er sich wieder entfernt hatte, herrschte erneut gedrückte Stimmung.
Die Leute an den anderen Tischen blickten noch immer verstohlen zu Tor Vaksdal und seiner Tochter herüber. Das war der Preis, wenn man ein TV-Star war. Normalerweise liebte Vaksdal diesen Nebeneffekt. Er mochte die Aufmerksamkeit und die Macht, die mit der Berühmtheit einhergingen. Doch heute lösten sie eher Beklommenheit bei ihm aus. Er nickte höflich den Bekannten an den anderen Tischen zu. Den meisten von ihnen dürfte klar sein, dass er mit seiner Tochter unterwegs war, sie hatten die gleichen roten Haare. Und darüber hinaus dürfte auch allen klar sein, dass die beiden ein angespanntes Verhältnis zueinander hatten. Vaksdal räusperte sich.
»Wie läuft es in der Schule?«
Wieder dieses provozierende Schweigen, bevor sie ihn mit einem kurzen und nichtssagenden »gut« abspeiste.
»Welche Fächer magst du besonders?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Und welche nicht?«, fragte er weiter und zwang sich zu einem Lächeln.
Irene war so verdammt mürrisch. Er spürte Wut in sich aufflammen. Es gelang ihm nicht länger, den Schein zu wahren, und er fauchte: »Irene, verdammt, siehst du nicht, dass ich mir Mühe gebe?«
Wie ärgerlich, um sie herum wurde es still. Die Worte waren ihm sehr viel lauter herausgerutscht, als er es beabsichtigt hatte. Er lieà seine Augen durchs Lokal schweifen und
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