Grabeskaelte
– klarer Fall. Eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist Ihnen anscheinend zu unbequem. Es könnte ja mit Arbeit verbunden sein, die Bedenken eines besorgten Ehemannes ernst zu nehmen!“
„Jetzt machen Sie aber mal halblang Herr Birkner! Ich kann Ihre Verzweiflung ja durchaus nachvollziehen. Irgendwie verstehe ich Sie sogar sehr gut. Ich an Ihrer Stelle hätte jetzt wohl auch am liebsten die Bestätigung, das es ein Unfall oder etwas“, er zögerte kurz dann sprach er weiter: „Derartiges gewesen sein könnte. Alles andere, bloß kein Selbstmord. Die Konsequenz daraus wäre schließlich, dass Sie gezwungen wären, ein Stück der Schuld bei sich selbst zu suchen. Daher wäre für Sie im Augenblick die Unfallvariante die einfachste Lösung. Sie ging spazieren, rutschte aus, verlor den Halt und stürzte in die Tiefe … Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, dann geben Sie mir Recht, stimmts? Wir akzeptieren nun mal ungern die Wahrheit. Aber auch wenn es uns nicht gefällt, wir kommen nicht um sie herum.“
Während der Kommissar auf ihn einsprach, sank Ralph Birkners Kopf immer tiefer, lag am Ende auf seinen Knien. Lautloses Schluchzen schüttelte ihn.
Nach einer endlos scheinenden Weile beruhigte er sich. Sein von rhythmischen Zuckungen gepeinigter Körper kam langsam wieder zur Ruhe und er suchte schniefend nach einem Taschentuch. Der Kommissar gab ihm seines. Dabei konnte er sehen, wie es hinter Ralphs Stirn arbeitete. Er schien nach den passenden Worten zu suchen. Kurze Zeit später fing er zu sprechen an.
„Sie haben Recht. Es ging ihr oft nicht gut. Und wenn Sie sagen, dass ich mitschuldig bin, dann wird das wohl stimmen. Ich habe mich viel zu wenig um sie gekümmert. Jeder von uns hatte sein eigenes Leben. Ich war ausschließlich auf meine Arbeit fixiert, Cora aufs Schreiben. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie darunter litt. Wir führten auch keine schlechtere Ehe als andere Paare. Mit den Jahren lebt man sich zwangsläufig auseinander. Ich schätze das geht den meisten so. Obwohl, wenn ich’s mir recht bedenke, in letzter Zeit hat Cora sich schon sehr rar gemacht. Aber als sie dann mit dem Buch fertig war, da dachte ich jetzt geht’s aufwärts. Sie war wie ausgewechselt. Unsere Gefühle füreinander lebten wieder auf. Ich dachte sie sei glücklich …“
„Als sie dann mit dem Buch fertig war? Was meinen Sie damit?“
„Das war’s ja.“ Ralph stöhnte. „Sie hat ein Buch nach dem anderen geschrieben. Sie war wie besessen davon. Ich wollte von Anfang an nichts davon wissen. Hab nie auch nur eine Zeile von dem, was sie oben unterm Dach schrieb, gelesen. Jetzt tut’s mir Leid – unendlich Leid, ehrlich. Wer weiß, was es ihr bedeutet hätte! Sie hat mich sooft darum gebeten, doch wenigstens eines ihrer Manuskripte zu lesen. Aber ich dachte nicht daran. Um ehrlich zu sein hielt ich das, was sie da trieb, für Schwachsinn, den wollte ich keinesfalls unterstützen.“
„Was schrieb denn Ihre Frau für Bücher?“
„Nicht einmal das kann ich Ihnen hundertprozentig sagen. Ich glaube es waren Krimis oder so was in der Art. Von ihrem zuletzt geschriebenen Buch behauptete sie sogar, das sie damit den lang ersehnten Durchbruch schaffen würde. Wiederholt bezeichnete sie es sogar als spektakulär. Es nervte mich zunehmend, dass sie so felsenfest davon überzeugt war. Ich hab sie daran erinnert, wie oft sie sich schon falschen Hoffnungen hingegeben hatte. Um ein Haar hätten wir uns deswegen sogar noch gestritten.“ Mit einer hilflosen Geste fuhr Ralph sich durch sein strubbeliges Haar.
„Also, ich würde da schon mal einen Blick darauf werfen wollen“, meinte der Kommissar.
„Wenn Sie bereit wären, mir eines ihrer Manuskripte zu überlassen, würde ich es gerne lesen. In zwei Wochen werde ich pensioniert. Dann verfüge ich über jede Menge Zeit. Außerdem habe ich früher selbst einmal geschrieben. Gedichte. Ich fing nach dem Tod meiner Frau damit an. Ob Sie es mir glauben oder nicht, das Schreiben hat mir geholfen, meinen Kummer zu bewältigen. Ich denke diese Neigung generell als Schwachsinn abzutun, davor sollte man sich hüten. Wer weiß, was es Ihrer Frau bedeutet hat …“
4
Kurz nach acht Uhr am nächsten Morgen klingelte das Telefon auf Henning Lüders Platz.
Ralph Birkner war am anderen Ende der Leitung.
„Ich hab’ ihren Abschiedsbrief gefunden“, stieß er atemlos hervor. „Sie hat ihn auf ihrem Laptop geschrieben. Soll ich ihn vorlesen?“
„Ich bin
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