Grabeskaelte
verschlossener Typ. Ich meine, sie hatte natürlich schon ein Gespür dafür, ob ein Manuskript etwas taugte oder nicht. Aber sie unterhielt sich sehr selten mit mir darüber. Obwohl …“
Nach einer kurzen Pause sprach Lara weiter: „Ich glaube mich zu erinnern, dass sie vorige Woche am Rande eine Bemerkung über irgendein Manuskript machte. Ich denke sie gebrauchte den Ausdruck spektakulär. Worum es da allerdings ging, das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.“
Henning Lüders ließ Laras Worte auf sich wirken. Voran gebracht hatten die Antworten der jungen Frau die Ermittlungen nicht. Dennoch ließ die Erwähnung des Wortes spektakulär ihn nicht los. Er forschte in seiner Erinnerung. Es konnte noch gar nicht so lange her sein, da hatte er dieses Wort schon einmal gehört. Aber in welchem Zusammenhang bloß? Er wusste es nicht mehr. Angestrengt dachte er nach. Er würde schon noch darauf kommen, da war er ganz sicher.
Gegen Mittag hatten es die Computerspezialisten geschafft, die gelöschten Daten der Festplatte wiederherzustellen. Seither sichtete Rüdiger das umfangreiche Material. Weitergebracht hatten ihn die angezeigten Dateien bisher allerdings noch nicht. Henning saß neben ihm. Auch er schaute gebannt auf den Bildschirm. Der Fall hatte ihn gefangen genommen.
Draußen war es schon dunkel, als Rüdiger beschloss, für heute Schluss zu machen. Er stand auf und streckte sich. Sein Nacken war völlig verkrampft. Im Gegensatz zu Henning wirkte er mit seinen Einsfünfundachtzig wie ein Bär. Er hatte ein breites Kreuz und eine energische Stimme. Henning hatte ihn nie anders als mit einem Dreitagebart kennen gelernt. Seine mit zahlreichen grauen Strähnen durchzogenen Haare hatten sich im Laufe der Jahre zusehends gelichtet. Doch sein eigentliches Markenzeichen war seine Brille. Henning hatte niemals vorher eine eigenwilligere Kreation davon erblickt. Passend zu Rüdigers kantigem Gesicht war sie viereckig und besaß ein breites Horngestell. Sie verlieh seinem Gesicht eine einschüchternde Strenge. Für seine Arbeit mochte dies von Vorteil sein. Aber der erste Eindruck täuschte. Hinter einer rauen Schale verbarg sich ein butterweicher Kern.
Neben Rüdiger wirkte Henning noch kleiner, als er es ohnehin schon war. Er war schlank, beinahe drahtig. Doch er verstand es ausgezeichnet, seine geringfügig unter dem Durchschnitt liegende Größe durch eine gerade Haltung und ein selbstsicheres Auftreten auszugleichen. Auch er trug schon seit vielen Jahren eine Brille. Sie war dünnrandig und gab seinem schmalen Gesicht eine interessante Note.
Henning bat Rüdiger, der soeben im Begriff war, den Computer auszuschalten, einen Moment zu warten.
„Ich hab da so eine Idee, die mich einfach nicht mehr loslässt. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mal etwas ausprobiere. Es wird auch bestimmt nicht lange dauern.“
Noch bevor Rüdiger etwas erwidern konnte, gab Henning Cora Birkners Namen als Suchbegriff ein. Nun starrte er gebannt auf den Bildschirm.
„Bingo!“ Er hatte es tatsächlich geschafft! Sein feiner Spürsinn hatte sich wieder einmal als äußerst nützlich erwiesen. Eine mehr als vage Vermutung schien Gestalt anzunehmen. Doch schon der nächste Mausklick ernüchterte ihn. Es gab keine weitere Datei, die in Zusammenhang mit Cora Birkner stand. Alles was der Computer an Informationen über sie besaß, bestand aus einer einzigen Zeile. Hinter Coras Namen war der siebzehnte Januar als Eingangstag ihres Manuskripts – Umfang zweihundertfünfzig Seiten, Arbeitstitel: ›Um der Wahrheit willen‹ – vermerkt. Die ganze Seite bestand aus, nach dem Alphabet geordneten Namen, weiterer Autoren und deren Werken. Hinter einigen der Titel fand sich ein Datum mit dem Vermerk: „Erledigt.“
Nicht mehr und nicht weniger. Henning ver suchte es mit der Eingabe des Arbeitstitels. Doch nichts geschah. Es gab keine solche Datei. Immerhin hatte sich sein Verdacht bewahrheitet. Doch was bewies das schon. Alles konnte ein Zufall sein. Henning überlegte, ob er Rüdiger einweihen sollte. Was, wenn sich alles als ein einziges großes Missverständnis herausstellte? Schließlich hatte Cora etliche Bücher geschrieben und Verlagen angeboten. Was wollte er eigentlich damit beweisen? Alles was er wusste war, dass sie ein Buch geschrieben hatte, welches sie ihrem Mann gegenüber als spektakulär bezeichnete. Hing am Ende alles mit diesem Manuskript zusammen? Ihr angeblicher Selbstmord und nun auch noch der Mord an
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