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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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werden.«
    »Ausgefochten von wem? Was ist da draußen?«
    Iris gab keine Antwort. In der Stille spürte Jane einen leisen Lufthauch an ihrer Wange, als wäre ein Windstoß durch die Ritzen der Tür gedrungen. Irgendetwas ist hier mit uns im Raum.
    Sie hörte das leise Klirren von Handschellen, die zu Boden fielen. Und eine Stimme flüsterte: »Ich bitte um Verzeihung, Sifu. Ich wäre gerne eher gekommen.«
    »Mein Säbel?«
    »Hier ist Zheng Yi. Ich habe ihn oben gefunden.«
    Jane kannte diese Stimme. »Bella?«
    Eine Hand legte sich auf ihre Lippen, und Iris murmelte: »Bleiben Sie hier.«
    »Sie können mich doch nicht so zurücklassen!«
    »Hier sind Sie sicherer.«
    »Schneiden Sie mich wenigstens los!«
    »Nein«, sagte Bella. »Sie wird nur Ärger machen.«
    »Und wenn Sie scheitern?«, sagte Jane. »Dann sitze ich hier unten fest und kann mich nicht verteidigen. Geben Sie mir wenigstens eine reelle Chance!«
    Etwas zog an ihren Händen, und sie hörte, wie die Klinge ihre Fesseln aus Klebeband durchschnitt. Ein zweiter Schnitt befreite ihre Füße. »Denken Sie daran«, flüsterte Iris ihr ins Ohr. »Das ist nicht Ihre Schlacht.«
    Doch, jetzt schon. Jane schwieg allerdings und verhielt sich still, während die beiden Frauen in der Dunkelheit davonglitten. Sie konnte weder sehen noch hören, wie sie den Raum verließen, spürte nur erneut diesen Lufthauch auf der Wange, als hätten sie sich in Luft aufgelöst und wären mit dem Wind lautlos zur Tür hinaus- und die Treppe hinaufgeweht.
    Jane versuchte, sich aufzurichten, doch ihr wurde schwindlig, und sie taumelte blind in der Dunkelheit umher. Sie setzte sich wieder hin; ihr Kopf schmerzte vom Aufprall auf den Beton. Durch die Nachwirkungen der K.-o.-Tropfen war sie zusätzlich geschwächt. Sie streckte die Hand aus, fühlte die nahe Wand und unternahm einen neuen Versuch, sich aufzurichten, wobei sie sich diesmal abstützte, wacklig auf den Beinen wie ein neugeborenes Fohlen.
    Das Geräusch eines Schusses ließ sie zusammenfahren.
    Hier unten sitze ich in der Falle, dachte sie. Ich muss raus hier, raus aus diesem Haus.
    Jane tastete sich zur Tür vor. Sie war nicht verschlossen und schwang mit leisem Knarren auf. Irgendwo über sich hörte sie trampelnde Schritte. Und dann noch zwei Schüsse.
    Sieh zu, dass du verschwindest. Ehe die Männer zurückkommen, um dich zu holen.
    Sie begann, die Stufen hinaufzusteigen, ganz langsam, Schritt für Schritt, aus Furcht, das kleinste Geräusch könnte sie verraten. Ohne Waffe, ohne eine Möglichkeit, sich zu verteidigen, konnte sie nicht in diesen Kampf eingreifen. Sie war wie eine unbeteiligte Zivilistin, die ein Kriegsgebiet durchqueren musste, um sich in Sicherheit zu bringen – wo immer sie die finden mochte. Zuerst einmal musste sie einen Ausgang suchen. Sie hatte ihre Autoschlüssel nicht mehr, also würde sie sich zu den Nachbarn flüchten müssen. Sie versuchte, sich das Grundstück ins Gedächtnis zu rufen, erinnerte sich an die lange Auffahrt, die Waldstücke und Rasenflächen, die hohe Hecke, die alles umschloss. Bei Tage hatte es wie ein kleines Paradies gewirkt, ringsum eingehegt, um die Außenwelt fernzuhalten. Jetzt wusste sie, dass das Tor mit seinen Eisenspitzen nicht nur verhindern sollte, dass jemand eindrang, sondern auch, dass jemand von drinnen entkam. Dies war kein Garten Eden, es war ein Todeslager.
    Als sie den oberen Treppenabsatz erreichte, stieß sie auf eine weitere geschlossene Tür. Sie legte das Ohr daran, hörte aber nichts. Die Stille war beunruhigend. Wie viele Schüsse waren es gewesen? Mindestens drei, dachte sie, genug, um sowohl Iris als auch Bella außer Gefecht zu setzen. Lagen die Frauen tot hinter dieser Tür? Waren Patrick und Mark in diesem Moment auf dem Weg zurück zum Keller, um auch ihr den Garaus zu machen?
    Ihre Hand war glitschig vor Schweiß, als sie den Knauf packte. Die Tür schwang geräuschlos auf, und dahinter war die Dunkelheit ebenso undurchdringlich wie im Keller. Sie konnte keinerlei Konturen oder Silhouetten erkennen. Auch hier war der Boden aus Beton, und als sie sich zentimeterweise vorwärtsbewegte, die Arme ausgestreckt, um nicht blind in irgendwelche Hindernisse zu laufen, hörte sie etwas Metallisches von ihrem Schuh wegkullern. Dann stieß sie mit der Hüfte gegen eine Kante und hielt inne, um zu erkunden, was es war. Es fühlte sich an wie ein Tisch, bedeckt mit einer Staubschicht. Plötzlich bohrten sich scharfe Metallzacken in ihre Finger, und

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