Grabkammer
Spitzname des neuen Opfers, doch niemand aus dem Ermittlungsteam würde ihn jemals in der Öffentlichkeit verwenden. Niemand wollte ihn auf den Titelseiten der Gazetten sehen. »Wir wissen, dass dem Opfer aus dem Kofferraum beide Beine gebrochen wurden. Dadurch könnte es zu einer Infektion gekommen sein, und das war möglicherweise die Todesursache. »
»Und die Konservierung wäre dann die einzige Möglichkeit gewesen, wie er sie in seiner Nähe behalten konnte«, sagte Marquette. »Auf Dauer.«
Zucker sah wieder auf das Foto. »Erzählen Sie mir von diesem Opfer – Lorraine Edgerton.«
Jane schob dem Psychologen eine Aktenmappe zu. »Das ist alles, was wir bis jetzt über sie wissen. Sie war Doktorandin und arbeitete gerade in New Mexico, als sie verschwand.«
»Was hat sie studiert?«
»Archäologie.«
Zucker horchte auf. »Erkenne ich da ein durchgängiges Motiv?«
»Es ist kaum zu übersehen. In diesem Sommer arbeitete Lorraine mit einer Gruppe von Studenten bei einer archäologischen Ausgrabung im Chaco Canyon mit. Am Tag ihres Verschwindens sagte sie ihren Kommilitonen, sie wolle in die Stadt fahren. Am späten Nachmittag fuhr sie mit ihrem Motorrad los und wurde nie mehr gesehen. Wochen später wurde das Motorrad kilometerweit von der Grabungsstätte entfernt gefunden, in der Nähe eines Navajo-Reservats. Nach allem, was ich über die Gegend dort weiß, ist sie sehr dünn besiedelt und besteht hauptsächlich aus Wüste und Schotterpisten.«
»Es gibt also keine Zeugen.«
»Nein. Inzwischen sind fünfundzwanzig Jahre vergangen, und der Detective, der damals ihr Verschwinden untersuchte, ist tot.
Wir haben nur seinen Bericht. Deswegen werden Frost und ich nach New Mexico fliegen und mit dem Archäologen sprechen, der damals die Grabung leitete. Er hatte sie als einer der Letzten lebend gesehen.«
Zucker betrachtete die Fotos. »Sie scheint eine sportliche junge Frau gewesen zu sein.«
»Das war sie. Ihre Hobbys waren Wandern und Zelten. Sie verbrachte viel Zeit im Freien, mit der Schaufel in der Hand. Eine junge Frau, die sich bestimmt nicht ohne Gegenwehr ergeben hätte.«
»Aber sie hatte eine Kugel im Bein.«
»Das war vielleicht die einzige Möglichkeit, wie der Täter seine Opfer in seine Gewalt bringen konnte. Die einzige Möglichkeit, wie er Lorraine Edgerton überwältigen konnte.«
»Die Moorlady hatte zwei gebrochene Beine«, bemerkte Frost.
Zucker nickte. »Was mit Sicherheit dafür spricht, dass ein und derselbe Täter beide Frauen ermordet hat. Was wissen wir über die Moorleiche? Die, die im Kofferraum gefunden wurde?«
Jane schob ihm die Moorlady-Akte zu. »Wir haben sie noch nicht identifizieren können«, sagte sie. »Deshalb wissen wir auch nicht, ob es irgendeine Verbindung zwischen ihr und Lorraine Edgerton gibt. Das NCIC durchsucht gerade seine Datenbank nach ihr, und wir können nur hoffen, dass irgendjemand sie irgendwo als vermisst gemeldet hat.«
Zucker überflog den Obduktionsbericht. »Weibliche Erwachsene, Alter achtzehn bis fünfunddreißig. Sehr gutes Gebiss, kieferorthopädische Behandlungen.« Er blickte auf.
»Es würde mich überraschen, wenn ihr Verschwinden nicht gemeldet worden wäre. Die Methode der Konservierung muss Ihnen doch einen Hinweis darauf liefern, in welchem Teil des Landes sie getötet wurde. In wie vielen Staaten gibt es überhaupt Torfmoore?«
»In ziemlich vielen sogar«, antwortete Frost. »Das hilft also kaum, die Suche einzuengen.«
»Macht euch auf was gefasst«, warnte Jane und lachte.
»Detective Frost ist neuerdings der offizielle Moorexperte des Boston PD.«
»Ich habe mit Dr. Judith Welsh gesprochen, einer Biologin drüben an der University of Massachusetts«, sagte Frost. Er zog sein Notizbuch heraus und schlug die entsprechenden Seiten auf. »Von ihr habe ich Folgendes erfahren. Feuchtgebiete mit Torfmoos findet man in Neuengland und Kanada, im Gebiet der Großen Seen und in Alaska. Überall, wo das Klima gemäßigt und feucht ist. Selbst in Florida gibt es Torfmoore.« Er blickte auf. »Man hat sogar nicht weit von Disney World Moorleichen gefunden.«
Detective Crowe lachte. »Im Ernst?«
»Über hundert, und sie sind wahrscheinlich achttausend Jahre alt. Das ist die Begräbnisstätte von Windover. Aber diese Leichen wurden nicht konserviert. Es sind bloß Skelette, nicht zu vergleichen mit unserer Moorlady. Da unten ist es zu heiß, deswegen haben sie sich zersetzt, obwohl sie im Torf eingeschlossen waren.«
»Das
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