Grabkammer
war?«, fragte Frost.
»Ja, so gut war sie erhalten, von den Haaren bis hin zu dem Stoffgürtel um ihren Hals. Gewiss, ihr Körper war beschädigt, aber das passierte viel später, als sie mit dem Torf aus dem Moor gezerrt wurde. Es war noch genug von ihr erhalten, um ihr Gesicht rekonstruieren zu können. Und um zu rekonstruieren, wie sie gelitten haben muss. Das ist das Wunder der Moore, Detective. Sie öffnen uns ein Fenster in die Vergangenheit.
Hunderte solcher Leichen wurden in Holland und Dänemark, in Irland und England gefunden. Und jede von ihnen ist ein Zeitreisender, ein tragischer Botschafter sozusagen, zu uns geschickt aus einer Zeit, aus der es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt. Nur die Spuren der Grausamkeiten, die diese Menschen an ihren Opfern verübten.«
»Aber diese Frau«, Jane deutete auf den Leichnam auf dem Tisch, »ist doch eindeutig keine zweitausend Jahre alt.«
»Und doch ist ihr Erhaltungszustand genauso glänzend.
Sehen Sie nur, Sie können sogar die Rillen in ihren Fußsohlen und Fingerballen erkennen. Und Ihnen ist sicher auch gleich aufgefallen, dass die Haut dunkel wie Leder ist. Dennoch verraten uns ihre Gesichtszüge eindeutig, dass es sich um eine Weiße handelt.« Er sah Maura an. »Ich stimme voll und ganz mit Ihnen überein, Dr. Isles.«
Frost meinte: »Sie wollen uns also sagen, dass diese Leiche auf die gleiche Weise konserviert wurde wie dieses Mädchen in den Niederlanden?«
Vandenbrink nickte. »Was Sie da haben, ist eine moderne Moorleiche.«
»Deshalb habe ich Dr. Vandenbrink angerufen«, sagte Maura.
»Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Moorleichen.«
»Anders als bei den ägyptischen Mumifizierungstechniken«, erläuterte Vandenbrink, »liegen uns keine schriftlichen Dokumente über die Herstellung einer Moorleiche vor. Es handelt sich um einen vollkommen natürlichen und von Zufällen abhängigen Prozess, den wir noch immer nicht vollkommen verstehen.«
»Und woher sollte der Mörder dann wissen, wie man es macht?«, fragte Jane.
»Über dieses Thema wird in der Moorleichen-Community ziemlich heftig diskutiert.«
Jane lachte verblüfft. »Sie haben eine eigene Community?«
»Selbstverständlich. Wir haben unsere eigenen Konferenzen, unsere eigenen Cocktailpartys. Vieles von dem, was wir diskutieren, ist reine Spekulation. Aber wir verfügen auch über streng wissenschaftliche Methoden, um unsere Theorien zu stützen. Wir wissen zum Beispiel dass eine Reihe von charakteristischen Eigenschaften von Mooren zur Konservierung der Leichen beiträgt. Moore sind sehr sauer, sie sind arm an Sauerstoff, und sie enthalten Schichten von Torfmoos. Diese Faktoren tragen dazu bei, den Verwesungsprozess zu stoppen und die Weichteile zu erhalten. Auch sind sie für die dunkle Verfärbung der Haut verantwortlich, die Sie an dieser Leiche hier beobachten können. Wenn man sie noch einige Jahrhunderte im Moor liegen ließe, würden sich schließlich auch die Knochen dieser Leiche auflösen, sodass nur das konservierte Fleisch übrig bliebe, ledrig und vollkommen elastisch.«
»Ist es das Moos, das diese Wirkung hat?« fragte Frost. »Es ist ein wesentlicher Faktor bei dem Prozess. Es kommt zu einer chemischen Reaktion zwischen Bakterien und den Polysacchariden, die man im Torfmoos findet. Das Moos bindet die Bakterienzellen, sodass sie kein organisches Material mehr zersetzen können. Indem man die Bakterien bindet, kann man den Prozess der Verwesung unterbinden. Das Ganze vollzieht sich in einer säurereichen Brühe, die abgestorbenes Moos, Tannine und Holozellulose enthält. Mit anderen Worten: Moorwasser.«
»Und das ist alles? Man legt die Leiche einfach in Moorwasser, und das war’s?«
»Ein bisschen anspruchsvoller ist es schon. In Irland und den USA wurden Experimente mit Ferkelkadavern durchgeführt.
Man versenkte sie in verschiedenen Torfmooren und zog sie Monate später wieder heraus aus, um sie zu untersuchen. Da Schweine uns in biochemischer Hinsicht sehr ähnlich sind, können wir davon ausgehen, dass die Ergebnisse auf Menschen übertragbar sind.«
»Und die Ferkel verwandelten sich in Moorschweine?«
»Wenn die Bedingungen genau richtig waren. Zunächst einmal mussten die Kadaver vollständig untergetaucht sein, weil sie sonst zu verwesen begannen. Zweitens mussten sie unmittelbar nach dem Tod ins Moor gelegt werden. Lässt man das tote Tier auch nur wenige Stunden offen liegen, ehe man es vergräbt, nimmt der Verwesungsprozess
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