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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, immer noch ganz auf ihr Telefonat konzentriert. »Ich öffne jetzt den zweiten Anhang«, sagte sie. Ein Foto erschien auf dem Bildschirm. Es zeigte eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die in die Sonne blinzelte. Sie trug ein Jeanshemd über einem schwarzen, ärmellosen Top. Das braun gebrannte Gesicht, ohne jedes Make-up, ließ auf eine Frau schließen, die den größten Teil ihres Lebens im Freien verbrachte, die sich am wohlsten fühlte, wenn sie an der frischen Luft war und saloppe Kleidung tragen konnte. »Ich werde mir diese Dateien durchsehen«, sagte Maura. »Ich rufe Sie zurück.« Sie legte auf.
    »Wer ist die Frau?«, fragte Jane.
    »Ihr Name ist Lorraine Edgerton. Sie wurde zuletzt in der Nähe von Gallup in New Mexico gesehen – vor rund fünfundzwanzig Jahren.«
    Jane betrachtete stirnrunzelnd das Gesicht, das sie vom Computerbildschirm anlächelte. »Sollte mir der Name irgendetwas sagen?«
    »Das wird er ab sofort. Du schaust gerade in das Gesicht von Madam X.«
     
    Dr. Lawrence Zucker, seines Zeichens forensischer Psychologe, hatte einen so durchdringenden Blick, dass Jane es normalerweise vermied, ihm direkt gegenüberzusitzen. Diesmal aber war sie zu spät zur Besprechung gekommen und hatte deshalb mit dem letzten freien Platz vorlieb nehmen müssen – vis-a-vis von Zucker. Er nahm sich Zeit, um die auf dem Tisch ausgebreiteten Fotos zu studieren. Sie zeigten eine junge, vor Leben sprühende Lorraine Edgerton. Auf manchen Aufnahmen trug sie Shorts und ein T-Shirt, auf anderen Jeans und Wanderschuhe. Sie war ganz offensichtlich ein Freiluft-Typ, wozu auch ihre gesunde Sonnenbräune passte. Dann wandte er sich den Bildern zu, die sie zeigten, wie sie jetzt war: steif und ausgedörrt wie Klafterholz, das Gesicht eine lederartige Maske, straff über den Knochen gespannt. Als Zucker aufblickte, fixierte er Jane mit seinen wasserhellen Augen, und sie hatte das verstörende Gefühl, dass sein unheimlicher Blick bis in die dunkelsten Winkel ihres Gehirns drang, dass er Dinge sehen konnte, die sie niemandem je zu sehen erlaubte. Es waren noch vier weitere Detectives im Raum, aber sie war die einzige Frau; vielleicht war das der Grund, warum Zucker sich auf sie konzentrierte.
    Doch sie ließ sich nicht einschüchtern und sah ihm unverwandt in die Augen.
    »Wie lange, sagten Sie, ist es her, dass Ms. Edgerton verschwand?«, fragte er.
    »Fünfundzwanzig Jahre«, antwortete Jane.
    »Und ist dieser Zeitraum mit dem gegenwärtigen Zustand ihrer Leiche vereinbar?«
    »Wir wissen aufgrund der Zahnarztunterlagen, dass es sich um Lorraine Edgerton handelt.«
    »Und wir wissen auch, dass es nicht Jahrhunderte dauert, eine Leiche zu mumifizieren«, ergänzte Frost.
    »Ja, aber ist es denkbar, dass sie nicht vor fünfundzwanzig Jahren getötet wurde, sondern erst viel später?«, fragte Zucker.
    »Sie sagten, sie sei noch so lange am Leben gehalten worden, dass ihre Schusswunde bereits zu verheilen begann. Und wenn sie nun noch wesentlich länger gefangen gehalten wurde?
    Könnte man eine Leiche in, sagen wir, fünf Jahren in eine Mumie verwandeln?«
    »Sie denken, der Täter könnte sie jahrzehntelang in seiner Gewalt gehabt haben?«
    »Ich spekuliere lediglich, Detective Frost. Ich versuche zu verstehen, welche Art von Befriedigung das unserem unbekannten Täter verschafft. Was ihn dazu treiben könnte, diese bizarren postmortalen Rituale zu vollführen. Bei jedem der drei Opfer hat er große Mühe darauf verwandt, den Prozess der Verwesung zu unterbinden.«
    »Er wollte, dass sie sich möglichst lange halten«, meinte Lieutenant Marquette, der Leiter der Mordkommission. »Er wollte sie immer bei sich haben.«
    Zucker nickte. »Als Gefährtinnen für die Ewigkeit. Das ist eine Interpretation. Er wollte sie nicht verlieren, also verarbeitete er sie zu Andenken, die sich ewig halten.«
    »Und warum hat er sie dann nicht einfach als Gefangene gehalten?«, fragte Detective Crowe. »Wir wissen, dass er zwei von ihnen immerhin so lange am Leben gelassen hat, dass ihre Knochenbrüche zu verheilen begannen.«
    »Vielleicht sind sie ja eines natürlichen Todes gestorben, als Folge ihrer Verletzungen. In den Obduktionsberichten kann ich keine definitiven Antworten auf die Frage nach der Todesursache finden.«
    »Dr. Isles konnte diesen Punkt nicht zweifelsfrei klären«, bestätigte Jane, »aber wir wissen, dass unsere Moorlady …« Sie brach ab. Moorlady war der

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