Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
über ihren Hunger klagen, oben wurde das alles als Gejammer antisozialistischer Kräfte abgetan.
Am schlimmsten war die Lage vielleicht in Guangxi. Aufgrund der Meldungen falscher Produktionsmengen waren die Ankaufquoten zu hoch und die Hungertoten gingen hier bereits 1955 in die Tausende. Vor allem in den Kreisen Heng, Lipu, Pingle des Gebietes Pingle kam es flächendeckend zu Hungertod und Wassersucht. Die Untersuchungsabteilung des Zentralkomitees hat eine Untersuchung zu den »Fällen von Hungertod durch Naturkatastrophen im Jahr 1956 in Guangxi« durchgeführt, die die Konsequenz hatte, dass der erste Sekretär des Provinzkomitees und zwei weitere Provinzkomiteekader ihrer Ämter enthoben und in eine andere Provinz versetzt wurden. Gleichzeitig stellte die Partei eine Vielzahl geschasster Kader auf Kreisebene unter Aufsicht, sie bekamen Verweise und schwere Abmahnungen. [551] Einige Kader ließen das nicht auf sich sitzen, weil sie der Auffassung waren, dass das An- und Rückverkaufsystem für die Hungertoten verantwortlich sei. Wer das allerdings laut sagte, wurde aus der Partei ausgeschlossen.
Zu der schweren Hungersnot nach 1958 ist es vor dem Hintergrund des An- und Rückverkaufsystems gekommen. Dieses System hat den Nahrungsmittelmarkt zerstört und die Marktkräfte, die für ein Anwachsen der Nahrungsmittelproduktion sorgten, erstickt; es hat die Bauern des Rechts beraubt, Nahrung zu bekommen. Für jede einzelne Mahlzeit waren sie auf die Lieferungen der Regierung angewiesen; außerdem hat dieses System die Bauern des Rechts beraubt, durch zusätzliche Eigenarbeit Nahrung zu produzieren. In diesem Sinne war die schwere Hungersnot dieser Jahre eine unausweichliche Folge der Planwirtschaft.
Mit dem Beginn des Jahres 1958 sorgte die Lage beim staatlichen An- und Rückverkauf für verstärkte Besorgnis bei der Zentralregierung. Am 16. Februar brachte das Zentralkomitee ein Dokument heraus, in dem dargelegt wurde, dass zurzeit in verschiedenen Gebieten die Bauern angefangen hätten, sich über die Nahrungsmittelversorgung zu beschweren, was zum Teil berechtigt sei. [552] Das Zentralkomitee forderte, mit allen Mitteln für eine Übererfüllung der Ankaufquoten zu sorgen, was die Kontrolle über die Nahrungsmittel noch einmal verschärfte.
Tab. 9.1
Nahrungsmittelproduktion und Ankauf vor dem »Großen Sprung nach vorn« (Einheit: 100 Mio. Pfund)
Produktionsmenge und Ankaufquoten
1953 – 1954
1954 – 1955
1955 – 1956
1956 – 1957
1957 – 1958
Produktionsmenge
3337
3390
3678
3855
3898.2
Ankaufmengen (bzw. Handelsgetreide)
1003
( 828)
1078
( 903)
1041
( 860)
994
( 838.48)
1038.3
( 854.74)
Anteil an der Produktionsmenge in %
30.1
31.8
28.3
25.8
26.6
Quelle: Tabelle des statistischen Büros des Nahrungsmittelministeriums vom Juli 1957 und des Nahrungsmittelministeriums vom 6. Februar 1958, wobei die Zahlen für 1957 und 1958 nicht die endgültigen sind.
In jedem Jahr wurde eine »überhöhte Getreide- und Nahrungsmittelquote« erhoben; es blieb kein anderer Ausweg, als das Ganze wieder an die ländlichen Gebiete rückzuverkaufen. Der Rückverkauf erreichte jedes Jahr mehr als 40 Prozent der Ankaufquote (siehe Tabelle 9.2). Diese Nahrungsmittel wurden zwischen Stadt und Land hin und her transportiert, eine gigantische Verschwendung, aber der Staat war noch immer der Auffassung, es sei im Vergleich sicherer, wenn er die Hand über das Getreide halte.
Tab. 9.2
Nahrungsmittelrückverkäufe an die ländlichen Gebiete vor dem »Großen Sprung nach vorn« (Einheit: 100 Mio. Pfund)
1954 – 1955
1955 – 1956
1956 – 1957
1957 – 1958
Rückverkäufe an die ländlichen Gebiete (bzw. Handelsgetreide)
494
( 401)
405
( 334)
490
( 402)
429
( 351)
Verhältnis zu den Ankaufmengen in %
45.8
38.9
49.3
41.3
Quelle: Tabelle des statistischen Büros des Nahrungsmittelministeriums vom Juli 1957 und des Nahrungsmittelministeriums vom 6. Februar 1958, wobei die Zahlen für 1957 und 1958 nicht die endgültigen sind.
Vor dem »Großen Sprung nach vorn« wurden trotz der angespannten Nahrungsmittellage noch jedes Jahr über vier Milliarden Pfund Nahrungsmittel und Getreide ausgeführt, um Devisen für die Einfuhr von Aufrüstung zu bekommen. Diese Nahrungsmittel wurden den Bauern aus den
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