Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Die Wahrheit wurde angegriffen, Lügen wurden ermutigt, Schaumschlägereien gehörten zum guten Ton. Doch kaum war das zum guten Ton geworden, als es seine Wirkung nicht verfehlte und der Wind der Schaumschlägereien zu einem schlimmen Phänomen wurde, das in ganz Festlandchina sein Unwesen trieb.
Während die Menschen nicht wussten, ob sie den Berichten in den Zeitungen mit ihren »Rekordertrags-Satelliten« glauben sollten oder nicht, hat ein namhafter Wissenschaftler, der damals von den jungen Leuten im ganzen Land als Idol verehrte Qian Xuelin, in einem Artikel geschrieben:
»Sind wir mit der Getreideproduktivität, die uns der Boden geben kann, bereits auf dem Zenit angelangt? Wissenschaftliche Berechnungen sagen uns: Davon sind wir noch sehr weit entfernt! Wir werden in Zukunft durch die Kreativität unserer Bauern und die Anstrengungen unserer Agronomen unsere heutigen Ernteerfolge bei weitem übertreffen. Denn die letztliche Begrenzung der landwirtschaftlichen Produktion entscheidet sich einzig und allein an der Menge der Lichtenergie der Sonne, die jährlich auf die Fläche einer Einheit fällt. Wenn man diese Lichtenergie in landwirtschaftliche Produkte umrechnet, dann kommen dabei sehr viel höhere Werte heraus, als wir jetzt ernten.
Lassen Sie uns einmal folgende Berechnung anstellen: Von der jährlich auf ein Mu Boden fallenden Lichtenergie der Sonne ist ein Anteil von 30 Prozent für die Pflanzen verwertbar, und die Pflanzen nutzen die Lichtenergie der Sonne, um damit aus der Kohlensäure in der Luft und der Feuchtigkeit Nährstoffe für sich herzustellen, die sie wachsen und Früchte tragen lassen. Wenn von diesen Pflanzen nun ein Fünftel zum Verzehr geeignete Lebensmittel darstellen, dann beläuft sich die jährliche Pro-Mu-Produktion an Reis und Weizen nicht mehr nur auf etwas mehr als 2000 oder 3000 Pfund, sondern auf das 20fache dieses Wertes!
[…] Heute haben wir die Voraussetzungen dafür noch nicht, aber morgen werden wir sie schaffen; was wir heute nicht haben, das wird uns morgen gewiss zur Verfügung stehen!« [557]
Im März 1959 fragte Li Rui Mao Zedong, warum er gegenüber den Rekordertrags-Satelliten so leichtgläubig sei. Mao antwortete, weil er diesen Artikel von Qian Xuelin gelesen habe. [558]
Am 15. August 1958 hat der erste Sekretär des Büros für Süd- und Mittelchina des Zentralkomitees Tao Zhu in der Zeitschrift Rote Fahne einen Artikel mit dem Titel »Wider die ›Theorie von der Begrenztheit der Steigerung der Nahrungsmittelproduktion‹« veröffentlicht, in dem er erklärte, die Wasserfelder in Guangdong könnten eine Pro-Mu-Produktion von 10000 Pfund erreichen.
Am 11. August 1958 hat der für die Landwirtschaft zuständige stellvertretende Staatspräsident Tan Zhenlin in einem langen Artikel in der Renmin ribao von hoher politischer Warte aus die enorme Bedeutung des ganzen schaumschlägerischen Zahlenwerks bekräftigt.
Am 26. September hat der stellvertretende Staatspräsident Chen Yi, der den Ruf hatte, die Wahrheit zu sagen, in einem Artikel in der Renmin ribao geschrieben, er habe es mit eigenen Augen gesehen, die Pro-Mu-Erträge von einer Million Pfund Süßkartoffeln, 600000 Pfund Zuckerrohr und 50000 Pfund Nassfeldreis entsprächen den Tatsachen.
Am 22. August verkündete die Provinz Anhui eine provinzweite Durchschnittsproduktion an Frühreis von 1000 Pfund; am 13. September erklärte sich Henan zur zweiten 1000-Pfund-Provinz; am 20. Oktober trat auch Sichuan dem Club bei.
In der Renmin ribao vom 29. September hieß es: »Die Nahrungsmittelproduktion in Gansu ist auf mehr als das Doppelte gestiegen […] damit ist die Provinz Gansu, in der es immer an Nahrungsmitteln gefehlt hat, dabei, in dieser Hinsicht eine reiche Provinz zu werden.« Außerdem berichtete die Renmin ribao , die Sommerernte sei landesweit im Vergleich zum Vorjahr um 69 Prozent gestiegen.
Die Parteigruppe im Nahrungsmittelministerium schrieb in einem Bericht vom 15. August 1958 an das Zentralkomitee: »Nach dem Material der Berichte aus den verschiedenen Gebieten zu urteilen, wird die diesjährige Nahrungsmittelproduktion voraussichtlich bei 628,3 Milliarden Pfund liegen. Das ist im Vergleich zu den 389,9 Milliarden Pfund im Vorjahr ein Anstieg von 238,4 Milliarden oder 61,44 Prozent. [559]
Wer in einer solchen Situation Zweifel an den Erfolgszahlen anmelden wollte, der war ein »Beschmutzer der guten Lage«, und keiner wollte sich den Hut der
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