Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Rippen gepresst.
1957 hat sich der jahrelange »Bullenstreit« zwischen dem chinesischen Staat und den chinesischen Bauern ausgeweitet. In manchen Gebieten kam es zu kollektivem Nahrungsmittelraub durch die Bauern, in nicht wenigen Gebieten kam es wegen des Hungers zu Massenabwanderungen, das Ackervieh war ausgezehrt, wurde krank und ging ein.
In den fünf Provinzen Hebei, Shandong, Henan, Anhui und im Norden von Suzhou waren diese »Bullenkämpfe« am schärfsten. Der Kampf gegen Rechtsabweichler in den Städten führte auch in den ländlichen Gebieten zu »großen Debatten«. Das Hauptthema dieser »Großdebatten« war »die klare Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge beim Nahrungsmittelproblem«. So waren die »beiden wichtigsten Punkte bei der Diskussion über das Problem des Nahrungsmittelan- und -rückverkaufs« in zwei Gebieten von West-Hunan folgende:
Tab. 9.3
Nahrungsmittelexporte vor dem »Großen Sprung nach vorn« (Einheit: 100 Mio. Pfund)
Jahr
Ausfuhr von Marktlebensmitteln
Rohgetreide
davon Sojabohnen
1953 – 1954
32
36
18
1954 – 1955
41
46
23
1955 – 1956
44
51
23
1956 – 1957
44
51
24
Quelle: Tabelle des statistischen Büros des Nahrungsmittelministeriums vom Juli 1957 und des Nahrungsmittelministeriums vom 6. Februar 1958, wobei die Zahlen für 1957 und 1958 nicht die endgültigen sind. (Da die Zahlen des Nahrungsmittelministeriums nach Erntejahren erhoben wurden, die Zahlen der »Statistischen Jahrbücher« hingegen nach Produktions(kalender)jahren, ergibt sich eine Divergenz im Zahlenmaterial der entsprechenden Tabellen.)
Ist das An- und Rückverkaufsystem von Nahrungsmitteln gut? Wollen wir es?
Sind die Privatrationen zu niedrig? Beschneidet der Staat die Bauern?
Muss man die An- und Rückverkaufquoten für Nahrungsmittel erfüllen? Müssen diese Quoten mit einem Ansteigen der Produktion ebenfalls ansteigen?
Kann man Nahrungsmittelverbrauch und -einsparung, wie die Pläne es vorsehen, regulieren?
Als Folge der Debatte wurden die Ankaufquoten übererfüllt. [553]
Die Diskussion hat deutlich den politischen Druck zur Erfüllung der Ankaufquoten erhöht. Wer auf die oben aufgelisteten Fragen eine von der Meinung der Regierung abweichende Antwort gab, der wurde selbst zum Gegenstand einer »Debatte«, das heißt, er wurde kritisiert und bekämpft. Seinerzeit waren die Zeitungen voll von Berichten zu diesem Thema, zwei Beispiele: »Das An- und Rückverkaufsystem ist ausgezeichnet – widerlegt die rechten Elemente« und: »Wer gegen das An- und Rückverkaufsystem ist, ist gegen den Sozialismus«. [554] Mit den Mitteln der öffentlichen Meinung sagte man den Bauern: Wenn ihr weiter »bockt«, dann seid ihr in Gefahr, zu Rechtsabweichlern zu werden!
Im Frühjahr 1958 war der Nahrungsmittelmangel in den ländlichen Gebieten entsprechend gravierend. Vom 17. bis zum 19. April kamen Telefonberichte aus 15 Provinzen (Anhui, Hebei, Shandong, Guangxi, Guangdong, Gansu, Sichuan, Shanxi, Jiangsu, Jilin, Liaoning, Hunan, Fujian, der Inneren Mongolei und Yunnan) über die Nahrungsmittelknappheit und das Fehlen von Nahrungsmitteln in diesen Provinzen. In Anhui litten 1,3 Millionen Menschen unter Nahrungsmittelmangel, in Shandong hatten über 670000 Menschen überhaupt keine Nahrungsmittel mehr. Allein in 15 Kreisen von Guangdong fehlten Nahrungsmittel für über 690000 Menschen. In 21 Kreisen von Gansu herrschte Nahrungsmittelknappheit, in den am schlimmsten betroffenen Kreisen sind 735 Menschen verhungert. [555]
Vor dem »Großen Sprung nach vorn« war das Problem der Nahrungsmittelknappheit bereits recht schlimm. Der Sekretär der Parteigruppe im Nahrungsmittelministerium schreibt in seinem »Ausblick über die Nahrungsmittellage in den kommenden fünf Jahren« vom 8. Mai 1958: »In den vergangenen Jahren war die Arbeit im Nahrungsmittelsektor sehr angespannt, und doch mussten die Ankaufquoten für die Sommerernten erfüllt werden. Wenn wir in der Arbeit nur ein wenig nachlässiger werden, wird die Nahrungsmittelsituation problematisch werden. […] Erst nach einem guten Jahrzehnt angespanntester Arbeit können wir im Bereich Nahrungsmittel eine Wende zum Guten erreichen.«
Mao Zedong macht sich Sorgen: »Was tun, wenn wir zu viele Nahrungsmittel haben?«
Zur Zeit des »Großen Sprungs nach vorn« ist die Produktivität der ländlichen Gebiete in enormen
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