Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
vertusche und nicht aufgrund der Tatsachen schonungslos alle Fehler und Mängel, die noch bestünden, eingestehe, dann sei es unmöglich, zu einem abschließenden Urteil zu gelangen, dann würde sich das Schlechte unmöglich zum Guten wenden lassen.
Der Bericht vertrat die Auffassung, für die jahrelangen Fehler sei zunächst und zu zuallererst das Zentralkomitee verantwortlich. Ob die Drei Roten Banner richtig seien, müsse eine Überprüfung in der Praxis ergeben. Die Drei Roten Banner werden wir nicht aufgeben, wir halten weiter an ihnen fest, wir kämpfen weiter mit den Drei Roten Bannern. Zur Zeit gibt es Probleme, die wir noch nicht ganz klar erkennen, aber nach fünf, nach zehn Jahren werden wir unsere Erfahrungen erneut zusammenfassen, dann werden wir zu einem besseren Urteil gelangen. [891]
Mao Zedong war mit Liu Shaoqis mündlichem Vortrag sichtlich unzufrieden. Noch Jahre später hat Mao Zedong im Gespräch mit ausländischen Besuchern gesagt: »Seit vielen Jahren war der innerparteiliche Kampf nicht öffentlich gemacht worden. Auf der Konferenz der Siebentausend damals habe ich in einer Rede gesagt, der Revisionismus wolle uns stürzen. In ein paar Jahren, wenn es hoch komme, in ein paar Jahrzehnten werde China womöglich die Farbe wechseln. Diese Rede ist damals nicht veröffentlicht worden; trotzdem, damals konnte man einige Probleme bereits kommen sehen.« [892] Damals mag Mao Zedong in Liu Shaoqis Bericht das Problem des »Revisionismus« gesehen haben.
Nach dem ursprünglichen Plan sollte die Konferenz der Siebentausend am 30. oder 31. Januar schließen, aber am 29. waren die Delegierten mit ihren Reaktionen noch nicht zu Ende, sie hatten noch den Bauch voller Wut. Mao Zedong sagte: »Am Tage lass die Wut heraus, im Theater abends gibt’s Applaus, drei Mahlzeiten täglich sind ein Schmaus, zufrieden gehen wir nach Haus« [893] , woraufhin die Konferenz weiterlief.
Am 29. Januar hielt Lin Biao eine Rede. Er stellte sich kompromisslos hinter die Drei Roten Banner und lobte sie in vorher noch nicht gehörten höchsten Tönen; außerdem behauptete er, die Ursache für die Hungersnot seien »besonders große, fortgesetzte und in manchen Gebieten desaströse Naturkatastrophen«. Er sagte: »Auch in unserer Arbeit hat es einige Fehler gegeben, aber das waren nur Fehler innerhalb der Arbeit, es waren keine Linienfehler.«
Mao Zedong wusch er von jeder Verantwortung für die dreijährige Hungersnot rein:
»Diese Schwierigkeiten sind in gewisser Hinsicht und in gewissem Umfang gerade darauf zurückzuführen, dass wir uns nicht an die Weisungen des Vorsitzenden Mao gehalten, seine Warnungen in den Wind geschlagen und seine Ideen nicht befolgt haben. Wenn wir auf ihn gehört hätten, wenn wir den Geist des Vorsitzenden Mao umgesetzt hätten, dann wären wir weniger gewundene Pfade gegangen. […] Wenn die Ansichten des Vorsitzenden Mao nicht geachtet oder verwischt werden, dann kommt dabei nichts Rechtes heraus. Die Geschichte unserer Partei der letzten Jahrzehnte hat das gezeigt.« [894]
Als Lin Biao seine Rede hielt, hatte Mao gerade den Vorsitz. Als er Lin Biao so reden hörte, wird er sicher das Gefühl gehabt haben, dass sich »in der Not die Freunde zeigen«. Damals hat er denn auch gesagt: »Genosse Lin Biao, du hast, was die Linie der Partei, was die militärische Richtlinie der Partei angeht, eine sehr gute Rede gehalten. Ich hoffe, du arbeitest das Ganze einmal aus. Ich gebe dir eine Woche, einen halben Monat.« [895]
Als Mao die ausgearbeitete Rede Lin Biaos gelesen hatte, hat er sofort einen Vermerk für Tian Jiaying und Luo Ruiqing gemacht: »Komplett gelesen, sehr guter Aufsatz, von einigem Gewicht, sehr erfreulich.« [896]
Am Vormittag des 30. Januar hat Mao Zedong persönlich in die Debatte eingegriffen. Auf das Problem der Hungersnot ist er in seiner Rede nicht direkt eingegangen, aber dafür sehr ausführlich auf den demokratischen Zentralismus. Es sind die vollständigsten Ausführungen Maos zu diesem Thema, und in der Tat lief die Rede auf eine Verstärkung der Zentralisierung hinaus:
»Ohne hochgradige Zentralisierung kann man keine sozialistische Wirtschaft aufbauen. Wenn unser Land keine sozialistische Wirtschaft aufbaut […] dann wird aus uns ein zweites Jugoslawien, dann werden wir zu einem im Grunde kapitalistischen Land, dann wird aus der Diktatur des Proletariats eine Diktatur des Kapitals, eine reaktionäre, faschistische Diktatur. Das ist ein
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