Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
hinein- und wieder weggebracht wurde, müsse er beim Distrikt Meldung machen. Wie er denn da auf einmal drei bis fünf Millionen Pfund entnehmen können solle? Es ist in der Tat so: Wenn wir damals zwei Monate früher Getreide ausgegeben hätten, hätten niemals so viele Menschen verhungern müssen.«
Als die Sprache auf die Hungertoten kam, sagte seine alte Frau:
»Meine Oma ist verhungert, wie meine jüngere Schwester. Sie war im Kreis Xi und ist im November des ersten Jahres verhungert. Als sie tot war, lag sie zu Hause, niemand hat sie begraben. Der Grund dafür war, dass man unter ihrem Namen in der Volksküche eine Mahlzeit bekam. In Wirklichkeit hatten die Volksküchen den Betrieb längst eingestellt. Sie wurde im Februar des darauffolgenden Jahres beerdigt. Sie hatte ein paar Monate gelegen, ihre Augen und ihr Gesicht hatten die Ratten gefressen, es war nicht mehr schön. Die Leute aus dem Dorf hungerten so, sie konnten nicht helfen, und ich wagte nicht zu bleiben. Damals durften die Bauern nicht ihren Wohnort verlassen, ansonsten wurden sie, wie jeder wusste, einer Kritik unterzogen. Aber wenn ich etwas zu essen hatte, habe ich es ihnen sofort zukommen lassen.
Ich war Vorsitzende des Frauenverbandes, ich kannte das Leid der Frauen. Damals bekamen sechzig Prozent der Frauen nicht mehr ihre Regel, bei zwanzig bis dreißig Prozent der Frauen kam es zu einer Absenkung der Gebärmutter.«
Später kam es in der Provinz Henan und in allen anderen Gebieten des Landes zu ähnlichen Zuständen wie in Xinyang und die Kreiskomiteesekretäre, die man verhaftet hatte, wurden schrittweise freigelassen. Zwischen September und Oktober 1963 kamen sie aus dem Gefängnis frei und arbeiteten auf Bauernhöfen und in den ländlichen Gebieten, wofür sie monatlich ein paar Zehner zum Leben bekamen. Nach 1978, als man wusste, dass es überall im Land zu ähnlichen Zuständen wie in Xinyang gekommen war, gaben sie nicht klein bei, sondern schrieben einen Brief nach dem anderen und verlangten vollständige Rehabilitation. Sie waren der Auffassung, dass die Verantwortung für die Ereignisse von Xinyang nicht bei den unteren Ebenen lag, sondern bei Provinzkomitee, Gebietskomitee und Kreiskomitee, vom Zentralkomitee ganz zu schweigen.
Lu Xianwen war ein alter Revolutionär, der 1937 der Partei beigetreten war und ein einfaches und schlichtes Leben führte. Er folgte in allem und jedem unbeirrbar Wu Zhipu, mit dem Resultat, dass dieser nach Bekanntwerden des Problems mit den Hungertoten in Xinyang die gesamte Verantwortung auf ihn abwälzte. Auf der Kritikversammlung gegen Lu Xianwen sagt er: »Herz und Bauch sind zweierlei wie der Tiger und sein Fell. Ich habe früher nicht gewusst, wer du bist, aber jetzt weiß ich es!«
Die unteren Kader mussten vor dem Provinzkomiteesekretär antreten und der Reihe nach auf Lu Xianwen einschlagen. Yang Weibing, Sekretär des Provinzkomiteesekretariats, der sich eigentlich immer zu Lu Xianwen gestellt hatte, sagte in einer Stellungnahme: Lu Xianwen ist ein Konterrevolutionär, der sofort erschossen gehört.
In Beschwerdeschriften betonte Lu Xianwen immer wieder, dass es überall in der Provinz zu Hungertoten gekommen sei. Der 1993 in den Ruhestand getretene, krebskranke Lu Xianwen hat in seinen Erinnerungen die Gründe für die Ereignisse in Xinyang wie folgt zusammengefasst: »Fehler bei der Auslösung politischer Kampagnen, Gleichschaltung der Meinungen im politischen Kampf, was beides dazu führte, dass es ungebremst in die falsche Richtung ging.«
In den Aufzeichnungen heißt es weiter:
»Nach dem zweiten Plenum der achten Vollversammlung der Kommunistischen Partei war im Gebiet von Xinyang zum ersten Mal landesweit die Volkskommunisierung verwirklicht worden. Da die Partei immer wieder die Volkskommunen als goldene Brücken und den Kommunismus als Paradies propagiert hatte, wollten die Massen, ermutigt von den leeren Phrasen der Propaganda, auf der Stelle ein kommunistisches Leben führen. Die Kontrolle über Produktion und Leben in den Volkskommunen lag in den Händen der Kader, sie setzten die Planwirtschaft ins Werk um. Die Massen hatten keine Kontrolle über die Produktion oder ihr Leben, weshalb sie sich auch nicht darum kümmerten, ob, was sie produzierten, gut war oder schlecht, sie waren vollständig von der Parteiorganisation abhängig, es gab auch keinerlei Hintertüren mehr für das Überleben. Das Getreide wurde auf der Stelle direkt für die staatlichen Speicher
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