Graf Petöfy
Militärstiefeln leicht ausgetreten hatten, das brannte jetzt durch ganz Österreich hin, am meisten aber hier, und ehe du drei Vaterunser beten kannst, war unser Ungarland wie verkehrt oder meinetwegen auch wie verhext, und auf jeder Fahne stand und flatterte: ›Lieber ungrisch sterben als kaiserlich verderben.‹ Auf jeder Fahne stand es, sag ich, und in jedem Herzen dazu. Ja, Fränzl, wir hatten eine Revolution, und Revolutionszeit ist schwere Zeit, und mehr als einer ist an ihr zugrunde gegangen. Laß dir's von Toldy, der mit dabei war, erzählen, wie sie die Sieben am Festungstore von Arad gehängt haben, gehängt um was? Bloß weil sie's Ungarland mehr geliebt als den Eid, den sie dem Kaiser geschworen.«
»Und du, Petöfy?«
»Nun, ich, ich tat das, was sonst immer als das Schlechteste gilt und meist auch ist, ich wählte nicht links und nicht rechts. Aber diesmal war es doch das Beste. Mußt es auch sein. Denn sieh, Fränzl, wenn einer ein richtiges Herz hat und tut dann das, was das Herz ihm sagt, das ist immer das Richtige, komme, was mag. Und so trat ich denn vor ihn hin, vor meinen Kaiser und Herrn, der dazumalen nicht in Wien, sondern auf Schloß Innsbruck war, und bat ihn um meine gnädigste Demission. ›Ich habe‹, so sagt ich ihm, ›eh ich Eurer Majestät schwur, Ungarn geschworen; das ist der ewige Blutschwur, den jeder seinem Lande schwört, dem Stück Erde, darauf er geboren. Hier mein Degen! Ich hab ihn für Osterreich geführt, und ich kann und will ihn nicht
gegen
Österreich führen. Aber auch nicht im Kriege gegen mein Land und seine Fahnen. Und nun verurteilen mich Eure Majestät, wenn es so sein muß.‹ Eine Wolke lag da wohl auf seiner Stirn, aber er gab mir doch den Degen zurück und entließ mich in Gnaden, und was nebenher Ungnade war und blieb, das diktierte die Politik, aber nicht sein edles Herz. Ich ging ins Ausland, in alle Welt. Und nun kennst du den alten Petöfy, der aller Zeiten Wandlungen unerachtet geblieben ist, was er war: gut kaiserlich und gut wienerisch, aber freilich auch gut ungrisch. Und wenn es zum letzten geht, gut ungrisch über alles. Bist du zufrieden?«
»Zufrieden und dankbar. Ich kenne nun die Richtung, in der ich zu gehen, und den Ton, den ich anzuschlagen habe. Von Überzeugungen, soviel bleibt, soll man nicht lassen, aber wo sie fehlen und fehlen dürfen, da soll man sich den Überzeugungen anderer anbequemen. Ich glaube, das ist Pflicht überhaupt und die meinige noch im besonderen, denn darin täuschst du dich, Petöfy, die bloße Causerie reicht nicht aus für unser Leben, ebensowenig wie das beste Feuilleton für eine Zeitung ausreicht; es muß noch etwas Ernsthaftes hinzukommen, sonst wird das Scherzhafte bald schal und abständig. Ich beginne morgen Ungrisch, und sind wir im nächsten Sommer wieder hier, so lese ich dir den ›Pesti Hirlap‹ in der Ursprache vor oder wohl gar Jokais neuesten Roman.«
»Im nächsten Sommer«, wiederholte Petöfy. »Wer weiß, was dann ist. In meinen Jahren hat man gelernt, nach Tagen zu rechnen, und nimmt den Tag, als ob er das Leben wäre.«
Beide schwiegen. Ein leiser Zugwind ging und hob ein paar welke Blätter in die Luft, von denen eines auf Petöfys Hand niederfiel. Er nahm es und sagte: »Sieh die Bestätigung. Es wird Herbst.«
»Aber nicht Winter. Und von Herbst bis Winter ist eine lange Zeit.«
Neunzehntes Kapitel
Es waren Wochen vergangen, und das Leben auf Schloß Arpa gestaltete sich ganz nach Wunsch. Franziska hatte wirklich mit ungrischen Studien begonnen, und tagtäglich kam der kleine, den Unterricht leitende Geistliche von Szegenihaza herauf. Es war ein rundes und behagliches Männlein und verriet den früheren Klostermönch unter anderem auch darin, daß er einem immer für ihn bereitstehenden Frühstücke sowohl vor wie nach dem Unterricht lebhaft und geräuschvoll zusprach, bei welcher Gelegenheit er die Fragen seiner Kirche heiter und humoristisch, aber doch zugleich auch mit vielem Takt, und ohne seiner Stellung etwas zu vergehen, zu behandeln wußte. Franziska zog oft Parallelen zwischen diesem Ton und dem, der ihr noch aus dem elterlichen Hause her erinnerlich war, ein Ton, der trotz etwas persönlich Freiem im Auftreten ihres Vaters in Gegenwart von Amtsbrüdern immer etwas schwerfällig Wichtigtuerisches und, was das schlimmste war, auch etwas Salbungsvolles gehabt hatte.
Neben dem kleinen Geistlichen war es besonders der alte Toldy, zu dem sie sich mehr und mehr
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