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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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Untersuchung da ist.«

16
    Greving geht mit dem Bild des Toten durchs Dorf. Waltz könnte ihn kennen, denkt Mauser. Er fühlt sich innerlich leer. Zum ersten Mal seit einer Woche sind die Dinge wieder, was sie immer waren. Der Motorradhelm, den er aufsetzt. Die Handschuhe, die er anzieht. Den Zündschlüssel, den er ins Schloß steckt. Er schiebt die Maschine aus der Garage, stellt sie auf dem Seitständer ab und schließt die Garagentür. Der Tote in der Höhle ist jetzt ein Opfer. Endlich. Ein armer Mensch, der zu Tode gekommen ist und dessen Mörder nach fünfzig Jahren benannt werden soll. Auch wenn es sein Vater ist: Das berührt Mauser nicht mehr. Vielleicht war das alles ein bißchen zu viel in den letzten Tagen, denkt er. Aber er braucht diese Leere in sich für den Gang, den er jetzt zu tun hat. Er will noch einmal zu Hochstetter. Er muß herausfinden, was Hochstetter mit seinem Vater zu tun hat. Eine merkwürdige Geschichte um diese Pistole, mit der sein Vater Hochstetter bedroht haben soll.
    Er fährt nach Hundersingen, findet das Haus gleich wieder. Es steht im Schatten des Talhangs, die Sonne leuchtet blaß hinter Schleiergewölk. Mauser stellt das Motorrad vor der Gartentür ab. Auf dem Weg zum Haus setzt er den Helm ab und zieht die Handschuhe aus. Er läutet.
    Horcht.
    Wieder die schleppenden Schritte, die er schon letztes Mal gehört hat.
    Die Tür öffnet sich, und Hochstetter steht vor ihm, leicht gebückt, am Stock, blinzelt ihn mit trüben Augen an. Er wirkt nicht mehr so einschüchternd wie beim letzten Mal, irgendetwas ist anders. Ich bin anders, sagt sich Mauser.
    »Grüß Gott, Herr Hochstetter.«
    »Grüß Gott. Sie waren doch erst kürzlich hier, stimmt das? Sie sind, warten Sie, auf den Namen komm ich noch.«
    »Mauser. Hermann Mauser. Wir haben –«
    »Mauser! Aber sicher. Mauser. Kein Wunder, daß Sie noch mal herkommen. Ihr Mausers seid aufdringlich mit eurer Gerechtigkeit.«
    »Ich wollte mich für mein Auftreten letztes Mal entschuldigen«, sagt Mauser in ruhigem Ton. Es fällt ihm leicht. Der Zorn ist verraucht, jetzt interessiert ihn nur noch, was das für ein Mann ist und was für eine Geschichte er zu erzählen hat.
    »Auftreten?«
    »Daß ich Sie mit der Pistol bedroht hab.« Mauser weiß, daß er ohne Entschuldigung gleich die Tür gewiesen bekäme. Er hat sich das vorher überlegt und beschlossen, es zu tun. Es tut ihm sogar wirklich leid. Mit der Pistole herumfuchteln, das ist nicht seine Art.
    »Die Pistole. Ach was! Deswegen kommen Sie immer zu mir, Sie Held!« erwidert Hochstetter spöttisch.
    »Sie sollen mir erzählen, was mit meinem Vater war. Als er Sie bedroht hat …«
    Hochstetter lacht spöttisch. Unmerklich hat er sich aufgerichtet, er mustert Mauser von oben bis unten.
    »Ihr Vater sollte herkommen und sich entschuldigen. Oder sind Sie an seiner Stelle gekommen?«
    »Mein Vater ist schon seit über dreißig Jahren tot.«
    Hochstetter winkt ab. »Das ist mir egal. Sich entschuldigen kommen – was für ein Witz!«
    »Darf ich eintreten?« fragt Mauser freundlich. Er will den Alten zum Reden bringen, da muß er behutsam vorgehen.
    »Nein. Sie kommen mir nicht mehr ins Haus.«
    »Sie haben gesagt, mein Vater hat Sie mit der Pistol bedroht. Wann war das? Was ist geschehen?«
    Hochstetter schüttelt nur den Kopf. Er spürt einen Stich im Herz. Er weiß, daß er sich schonen muß. Seit dem letzten Besuch von diesem aufdringlichen Kerl geht es ihm schlechter. Er spürt das Herz schlagen wie ein übergroßes Organ, seine ganze Brust dröhnt davon. Die Pistole, denkt er. Mauser. Und jetzt sieht er die Bilder wieder vor sich, die Bilder, die er so lange vergessen hat. Bis dieser Mensch hier wieder auftaucht. Bis sie diese Leiche in der Höhle gefunden haben. Das muß er sein, denkt Hochstetter.
    Zu dritt haben sie uns aufgelauert. Eine Waffe im Dämmerlicht, in der Hand des einen, der eine Polizeiuniform trug. Mitgeschleppt. Gefesselt. In den Wald. Haben ihm den Anzug angezogen, ein Kreidekreuz darauf gemalt. Sogar eine Krawatte umgebunden. Ich habe zugesehen, denkt Hochstetter und faßt sich ans Herz. Dann mir die Waffe an die Schläfe gedrückt. Das kalte Metall, kalt von der Waldluft, den Kreis der Mündung, den spüre ich noch heute. Dann mir die Pistole in die Hand gedrückt, die zweite Pistole, woher kam die, wer hat sie gehabt, mir in die Hand gedrückt. Schieß! Knall ihn ab! Und der kniet zitternd im Laub und hat den Kopf gesenkt, die Hände auf den Rücken

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