Grafeneck
weiß auch nicht, wieso.«
Greving nickt. Mauser schaut ihn an und fragt sich, ob er zu viel erzählt hat. Tatsache aber ist, daß er erzählen will.
Sie plaudern ein Weilchen über die Schule. Der Kaffee ist stark, Greving trinkt ihn sehr süß. Der Hefezopf ist frisch und weich, mit Butter bestrichen paßt er gut zum Kaffee. Mauser tunkt ihn in die Tasse und zutzelt daran.
»Was haben Sie mir Neues?« fragt Mauser mit vollem Mund.
Mir? denkt Greving. Ist es schon so, daß die Polizei einem alten Grundschullehrer Informationen überbringt? Er holt Luft. »Wir haben das Alter des Anzugs bestimmen können. Die chemische Analyse bestätigt den ersten Hinweis durch die Herstellermarke, auf die Sie uns aufmerksam gemacht haben.«
»Ich?«
»Der Anzug ist fünfzig Jahre alt, genauer wissen wir es nicht. Das sagt aber leider nichts über das Alter der Leiche aus. Die Autopsie hat hier auch keinen Aufschluß gebracht. Bei mumifizierten Leichen ist es schwierig. Es ist eine Art Fettwachsleiche, und mit der Radiokarbonmethode läßt sich das Alter auch nur grob bestimmen. Die Leiche kann also zehn, sie kann aber auch fünfzig Jahre alt sein. Das ist der Bereich, in dem wir uns bewegen.«
»Fünfzig Jahre alt. Soweit waren wir ja schon.«
Greving stößt sich an dem »Wir«, lächelt aber und fährt fort.
»Über den Lehmverschluß der Höhle haben wir nichts in Erfahrung gebracht. Aber da wir das Alter der Leiche annähernd kennen, ist das auch nicht notwendig. Wir müssen auf der Suche nach der Identität des Opfers eben einen Zeitraum von vierzig Jahren abdecken.«
Mauser nickt und schlürft seinen Kaffee, in dem jetzt Krümel schwimmen. Die sind also genau so schlau wie ich, denkt er. Während ich versucht hab, den Täter ausfindig zu machen, haben sie sich um das Opfer gekümmert.
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagt Greving plötzlich und holt aus der Tasche des Mantels, den er über die Stuhllehne gehängt hat, eines der Bilder. »Eine Rekonstruktion des Gesichts der Leiche.«
Mauser schaut sich das Bild genau an. Dann schüttelt er den Kopf.
»Den kenn ich nicht. Und das ist eine Rekonstruktion, sagen Sie? Wie geht das?«
»Heutzutage geht alles«, erwidert Greving. »Die Bedeutung des Kreidekreuzes haben wir auch herausgefunden. Seither wissen wir, daß das Opfer einer der Behinderten sein könnte, die in Grafeneck ermordet wurden.«
Mauser läßt sich nichts anmerken. Es war klar, daß sie das herausfinden. Waltz kann jetzt zufrieden damit sein, daß er nichts erzählt hat.
»Sie wissen ja«, sagt Mauser leise, »daß meine Schwester auch zu denen gehört hat, die Sie in Grafeneck vergast haben.«
»Nein, das wußte ich nicht. Das tut mir leid.«
»Wahrscheinlich hat sie dann auch so ein Kreuz auf dem Rücken gehabt.«
Mauser sitzt am Stubentisch mit dem Lederanzug am Leib. Schon ein eigener Mensch, denkt Greving. Steckt tief in der Vergangenheit. Ich sollte ihn nach seinem Vater fragen.
»Herr Mauser, ich habe gehört, daß Sie eine Pistole besitzen«, beginnt er vorsichtig.
»Wer sagt das?«
»Von Ihrem Vater. Ist das richtig?«
Mauser überläuft es kalt. Er weiß, wenn die Pistole ans Tageslicht kommt, wenn sie wieder zum Leben erwacht und gesehen wird, dann kommt alles heraus. Dann läßt sich nichts mehr halten. Es ist diese verdammte Waffe. Ich hätte sie wegwerfen sollen, denkt er.
»Die ist im Keller. Ab und zu nehm ich sie heraus und mach sie sauber, bau sie auseinander und wieder zusammen.«
»Warum haben Sie Mattes damit bedroht?«
»Mattes?«
»Das paßt doch gar nicht zu Ihnen.«
»Was paßt schon zu einem Menschen und was nicht? Woher wissen Sie das überhaupt?«
»Mattes muß es Waiblinger erzählt haben, und der hält es für notwendig, den Vorgang aktenkundig zu machen.«
»Aktenkundig. Das glaub ich!« Mauser richtet sich auf und holt Luft. »Diese Pistol, wissen Sie«, fängt Mauser an. »Einer nimmt sie in die Hand, und plötzlich tut einer etwas, woran einer im Traum nicht gedacht hat. So eine Pistol ist ein komisches Ding.«
»Kann es sein, daß die Waffe etwas mit dem Toten in der Höhle zu tun hat?«
Mauser lacht. Er weiß selbst nicht, was er so komisch findet. Aber daß der Kommissar an seinem Kaffeetisch sitzt und die Waffe sich selbst entlarvt und jetzt mit einem kleinen Wörtchen alles zutage tritt, das findet er zum Lachen. Er trinkt seine Tasse leer und fordert den Kommissar auf, mit ihm in den Keller zu gehen.
Dort holt er sie aus dem Versteck.
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