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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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sitzt Waiblinger immer noch an seinem Schreibtisch. Mauser weiß, daß er ihm durchs Fenster zugeschaut hat. »So, sind wir jetzt zufrieden?« meint Mauser und stellt sich vor ihn hin, den Helm in der Hand.
    »Was wolltest du denn melden?«
    »Einen Leichenfund.«
    »Einen Leichenfund? Bei uns?«
    »Stell dir vor. In der Höhle drüben, im Münzloch.«
    »Da, wo du immer zugange bist?«
    »Genau da.«
    »Und da hast du eine tote Person gefunden?«
    »Tote Person. Genau.«
    Waiblinger bietet Mauser Platz an und dreht sich seitwärts, holt ein Formular hervor und spannt es in die Schreibmaschine ein. Mauser bleibt stehen.
    »Wann hast du den Fund getätigt?«
    »Gestern, als ich in der Höhle war.«
    »Und warum meldest du den Fund erst heute?« Waiblinger tippt und schaut Mauser nicht an.
    »Die läuft einem ja nicht weg, oder?«
    Waiblinger tippt weiter und weiß nicht recht, was er schreiben soll. Seine Finger zögern über den Tasten. »So einen Fund haben wir hier noch nie gehabt, weißt du«, sagt er. »Kannst du mir sagen, was für eine Person es ist?«
    »Eine männliche, so wie’s aussieht. Die ist mumifiziert, weißt. Muß schon ziemlich lang da liegen.«
    »Und du hast die tote Person gefunden? Ich meine, als sie schon tot war?«
    »Sag ich doch. Die lag in einem Nebengang, in einer Kammer. Mußte mich durch drei Meter Lehm graben, um überhaupt dorthin zu kommen. Die hat seither keiner gesehen, glaub’s mir.«
    »Seither?« Waiblinger tippt wieder weiter, runzelt die Stirn, schaut Mauser immer noch nicht an.
    »Herrgott, bist du ein Griffelspitzer. Seit sie ermordet worden ist!«
    »Woher willst du wissen, daß sie ermordet wurde?« Jetzt blickt Waiblinger auf. Er lächelt, als hätte er Mauser in der Falle.
    »Wie soll die sonst dahin kommen. So wie’s aussieht, ist sie erschossen worden. Hat ein Loch im Hinterkopf. Und nirgends eine Waffe zu sehen. Also, was würdest du da sagen?«
    »Den Fund zu untersuchen ist eigentlich Aufgabe der Polizei, das ist dir doch hoffentlich klar …«
    »Hab mich nur ein wenig umgesehen. Hab ’nen ordentlichen Schreck gekriegt, wie ich den da hab liegen sehen. Aber wenn du dir das unbedingt selber anschauen willst, bitte! Ich führ dich hin.«
    »In die Höhle?«
    »Da kannst du aber mit deinen Dienstklamotten nicht rein. Es geht durch Kriechgänge und Wasserstellen.«
    »Was soll man dazu sagen! Dann muß ich zu Hause vorbei und mich umziehen.«
    »Ich bezweifle sowieso, daß du bis ganz hinten in die Kammer kommst. Du bist zu dick für den Schluf.«
    »Das werden wir sehen«, sagt Waiblinger, tippt noch ein paar Wörter, nimmt dann seine Jacke und steht auf.
    Gemeinsam fahren sie mit dem Streifenwagen zu Waiblingers Haus, Mauser läßt sein Moped im Polizeihof stehen. Er wartet im Wagen, bis Waiblinger sich umgezogen hat. Als er wieder herauskommt, trägt er eine alte Kordhose und ein Flanellhemd und Gummistiefel an den Füßen. Jetzt sind wir beide gleich, denkt Mauser. Beide Stiefel an den Füßen. Und beide nachher lehmverschmiert von oben bis unten. Er grinst in sich hinein.
    »Wenn ein Mensch diese Leiche findet, dann du«, sagt Waiblinger beim Einsteigen. »Wo du überall zugange bist.«
    »Siehst mal«, meint Mauser.
    Noch nie ist Mauser mit Waiblingers Streifenwagen durchs Dorf gefahren. Das Auto fällt auf, Mauser merkt es. Die Leute drehen sich um, neugierig, wohin der Büttel wohl wieder unterwegs ist. Sie entdecken ihn, Mauser, auf dem Beifahrersitz, und schon fängt es an zu denken. Mauser grinst. Sie fahren auf der Talstraße nach Hundersingen, dann am Ortsende Richtung Ehestetten auf die Hochfläche hinauf. Sie halten am Straßenrand, wo es bergauf in den Hangwald geht.
    »Ist es weit?« fragt Waiblinger.
    »Tätst wohl lieber hinter deinem Schreibtisch sitzen, was?«
    Kaum sind sie in den Felsenkranz eingestiegen, fängt Waiblinger schon an zu keuchen. Er hält sich gut, aber das letzte Stück hinauf zum Eingang klettert Mauser voraus und reicht ihm die Hand von oben.
    »Hier, halt dich fest.«
    Als Mauser die Höhle wiedersieht, kommt sie ihm vor wie eine völlig neue, eine, in der er noch nie gewesen ist. Sie sieht anders aus, nun, da er nicht mehr allein ist und alles hergezeigt wird, was er in den stillen Stunden allein gesehen hat. Daß da drin ein Geheimnis liegt, kommt Mauser plötzlich unmöglich vor. Wahrscheinlich kriechen wir rein und finden die Kammer leer, denkt er. Der Eingang der Höhle ist schmal, schaudernd drückt Waiblinger sich

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