Gralszauber
nicht wieder? Ich habe dich
schon auf den Knien geschaukelt, als du noch kein Jahr alt
warst.«
»Mich?« Gwinneth riss die Augen auf.
»Ich war oft zu Gast auf dem Schloss deines Vaters«,
bestätigte Dagda. »Hat er dir niemals davon erzählt?«
»Nein«, sagte Gwinneth. »Und Uther auch nicht.«
»Uther, o ja«, seufzte Dagda. »Der gute alte Uther. Er ist
ein aufrechter Mann, aber es war nicht sehr klug, hierher
zu kommen. Nicht in Zeiten wie diesen.«
»Ihr werdet Artus doch nichts verraten?«, fragte Gwinneth ängstlich.
»Wo denkst du hin?«, antwortete Dagda. Er klang ein
bisschen beleidigt. »Was zwischen ihm und Uther war, das
geht nur sie etwas an. Ich mische mich nicht ein.« Er drehte sich auf seinem Stuhl herum. »Es war klug von dir, sie
nicht zu Artus zu bringen. Er hätte sie zweifellos erkannt,
was nur zu weiteren Komplikationen geführt hätte. Er hat
im Moment wahrlich andere Sorgen.«
»Mordred«, vermutete Dulac.
Dagda deutete ein Nicken an. »Der Mann, der Uthers
Burg zerstört und euch aus eurer Heimat vertrieben hat,
ja«, bestätigte Dagda, an Gwinneth gewandt. »Er war hier.
Aber sorge dich nicht. Artus und seine Ritter werden auch
dieser Gefahr Herr.«
Gwinneth wirkte nicht überzeugt. Trotzdem ging sie
nicht weiter auf dieses Thema ein, sondern deutete auf die
gegenüberliegende Wand. »Das, was Ihr gerade dort getan
habt – war das … Avalon?«
»Nur ein Trugbild«, antwortete Dagda. »Ein kleiner Taschenspielertrick, um die Sinne zu verwirren und das Auge zu täuschen.«
»Aber es sah so echt aus!«
»Das ist der Sinn eines Trugbildes«, belehrte sie Dagda.
»Und du willst mir schon wieder schmeicheln, scheint mir.
Es war nicht gut. Früher einmal, da war ich wirklich gut in
solchen Dingen, aber nun bin ich alt und eingerostet.«
»Ich fand es sehr überzeugend«, beharrte Gwinneth.
»Aber es war Avalon, habe ich Recht?«
»Vielleicht«, antwortete Dagda.
»Vielleicht?«
»Vielleicht«, sagte Dagda noch einmal. »Ich war niemals dort. Kein Sterblicher hat jemals einen Fuß auf den
Boden Avalons gesetzt. Niemand weiß, wie es dort wirklich aussieht. Oder ob es überhaupt existiert.«
»Jedermann weiß, dass Avalon existiert!«, protestierte
Gwinneth.
»Nur weil jedermann etwas zu wissen glaubt, wird es
dadurch nicht zur Wahrheit«, antwortete Dagda lächelnd.
»Sieh dir zum Beispiel diese Burg an. Jedermann glaubt,
dass ihre Mauern aus reinem Gold bestehen, und trotzdem
ist es nicht wahr.«
»Und die Magie?«, fragte Gwinneth. »Gibt es sie auch
nicht wirklich?«
»Eine kluge Frage«, antwortete Dagda. »Die Antwort
lautet ja und nein.«
»Ja und nein?«
»Das kommt immer auf den Standpunkt an«, sagte Dagda. »Was dem einen ganz normal erscheint, mag dem anderen wie reine Zauberei vorkommen und umgekehrt.«
»Das sagt ausgerechnet Ihr?«, wunderte sich Gwinneth.
»Ein Magier?«
»Ich bin kein Magier«, sagte Dagda noch einmal. »Ich
beherrsche ein paar Tricks, das ist alles, und die nicht
einmal besonders gut.«
»Was ich gerade gesehen habe, war gut.«
Dagda zuckte mit den Schultern. »Vielleicht liegt es an
diesem Ort«, sagte er. »Ich glaube, wenn es so etwas wie
Magie überhaupt gibt, so ist sie an einen bestimmten Ort
gebunden. Es gibt magische Orte auf der Welt. Oder zumindest solche, an denen Kräfte wirken, die wir nicht verstehen.«
»Und Camelot ist ein solcher Ort.«
»Nicht Camelot.« Dagda machte eine ausholende Geste
mit der freien Hand. »Diese Mauern hier sind viel älter als
die, die Camelots Türme und Wände bilden. Die Burg
wurde auf den Ruinen eines viel älteren Gebäudes errichtet. Und davor gab es hier einen anderen Ort; zu dem
Menschen kamen, um ihren Göttern zu dienen und ihnen
Opfer zu bringen, und davor wieder einen und wieder und
wieder. Und wenn Camelot längst zu Staub zerfallen und
König Artus’ Name vergessen ist, wird hier ein anderer
heiliger Ort entstehen. Menschen spüren, wenn an einem
Platz etwas Besonderes ist.«
Dulac lauschte gebannt. In all den Jahren, die er jetzt bei
Dagda war, hatte er nicht so viel über die Geschichte Camelots erfahren wie in den letzten fünf Minuten. Und auch
nicht über Dagda selbst.
»Ihr solltet jetzt gehen«, sagte Dagda plötzlich. »Es ist
spät. Uther wird sich Sorgen machen und es könnte sein,
dass Artus noch einmal herkommt. Er sollte dich nicht
sehen.«
»Da habt Ihr wohl Recht«, sagte Gwinneth traurig.
»Schade. Ich hätte gerne noch ein wenig mit Euch
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