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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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ertragreichen überseeischen Kautschukplantagen der Briten, Franzosen und Niederländer von Samen dieser Provenienz ab.
    In Dearborn war aber offensichtlich nicht bedacht worden, dass die Plantagenbäume in Singapur oder Malaysia unter anderen Bedingungen wuchsen als im Amazonas. Vor allem mussten sie keine Resistenzen gegen solche Schädlinge haben, die in Asien nicht vorkamen – dafür aber in Südamerika. Die natürlichen Feinde der hevea brasiliensis , insbesondere Blattrost und Netzwanze, aber auch bestimmte Raupen, Ameisen, Motten und Milben taten sich gütlich an der Monokultur der Plantagen und vermehrten sich entsprechend, während sie dem natürlichen Baumbestand des Regenwalds nur begrenzt gefährlich wurden, weil die Kautschukbäume vereinzelt wuchsen, weit verstreut zwischen zahllosen Bäumen anderer Sorte. Auf den Plantagen aber war der Anblick schrecklich, denn das Ungeziefer entlaubte die eigentlich majestätisch wirkenden Bäume komplett.

Magere Ausbeute, zufriedenes Ungeziefer
    Erst 1933, sechs Jahre nach dem Beginn des Unternehmens Fordlandia, zog die Ford-Zentrale in Dearborn einen ausgewiesenen Experten für Kautschukplantagen hinzu. Der wies auf all die Mängel hin und schlug vor, an geeigneterer Stelle mit Samen aus asiatischen Plantagen neu zu beginnen. Mit Samen, die einerseits von brasilianischen Bäumen abstammten, andererseits durch Veredelung zu ertragreichen Varianten herangezüchtet worden waren. Ein Jahr später wurde weiter flussabwärts in Belterra, nur 50 Kilometer südlich der Stadt Santarém ein großes Stück Regenwald gerodet und mit über dreieinhalb Millionen Pflanzen eine neue Plantage aufgebaut, während das abgelegene Fordlandia 1936 aufgegeben wurde. Die örtlichen Bedingungen waren in Belterra weitaus besser: übers Wasser ganzjährig auch mit großen Schiffen erreichbar, das Gelände eben, die Erde gut. Nur musste abermals die nötige Infrastruktur aufgebaut werden: Häuser, Straßen, Strom- und Wasserversorgung und so weiter. Nunmehr war das Unternehmen sogar noch größer angelegt: Statt zweihundert wurden achthundert Wohnhäuser errichtet, zu den Einrichtungen kamen außerdem noch Fußballplätze, um dem brasilianischen Volkssport Rechnung zu tragen. Und abermals musste die Plantage gepflanzt werden. Jetzt ging man professioneller ans Werk, indem man Pflanzen heranzüchtete, die gegen ihre natürlichen Feinde Resistenzen herausbildeten. Ebenso war der Umfang groß genug: Nach fünf Jahren waren bereits 50 Quadratkilometer bepflanzt, und diesmal versprach das Unternehmen ein Erfolg zu werden. Trotzdem fiel der Erfolg nur mäßig aus, bevor die Bäume abermals von Ungeziefer und Krankheiten befallen wurden – und dieses Mal in einem bisher unbekannten Ausmaß.
    Henry Fords Sohn Edsel, der schon seit Jahren nomineller Ford-Chef war, aber gegen den väterlichen Starrsinn meist wenig ausrichten konnte, wollte nun endlich dem langjährigen Misserfolg Rechnung tragen. Anstatt den verlorenen Dollar-Millionen an Investitionen weiteres Geld hinterherzuwerfen, sollten die Ford-Besitzungen im Amazonas an brasilianische Investoren verkauft werden. Allerdings fand sich angesichts des Ford’schen Misserfolgs niemand, der es mit der Kautschukproduktion hätte versuchen wollen. Um nicht ganz aufzugeben, wurden die Anstrengungen fortgesetzt in der Hoffnung, eines Tages doch noch vorzeigbare Erfolge zu erzielen. Ebenfalls ermutigend war das beiderseitige Interesse der Regierungen von Brasilien und den USA an der Kautschukgewinnung im Mutterland des Naturrohstoffes, als im Zweiten Weltkrieg die Versorgungslage schwieriger wurde und es möglich schien, dass Südostasien als Produzent ausfallen könnte. Allerdings schwand dieses Interesse bald zugunsten der Ausbeute wild wachsenden Kautschuks, weil der Aufbau ertragreicher Plantagen viel zu lange dauerte.
    Für die Ford Motor Company schwand in den Vierzigerjahren auch ein letzter Rest an Motivation, das brasilianische Projekt aufrechtzuerhalten. 1942 wurde die firmeneigene Reifenfertigungsanlage in Michigan in die Sowjetunion verkauft, und ein Jahr später gelang nach langem Wettrennen der großen Industriestaaten die Herstellung von synthetischem Gummi. Als gleichzeitig die Hevea-Bäume in Belterra von der bisher schlimmsten Raupenplage heimgesucht wurden, auf die überdies der bisher übelste Befall von Blattrost folgte, waren die Tage von Henry Fords brasilianischem Abenteuer gezählt. 1945 übernahm nach dem Tod seines Vaters

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