Grandios gescheitert
allgegenwärtige Zensur versagte in diesem Fall, wohl weil der zuständige Referent chronisch überlastet war. Vielleicht konnte der Artikel nur deshalb erscheinen, weil in Deutschland selbst die Zeitschrift gar nicht verkauft wurde. Das Vorzeigemagazin Signal erschien, in der jeweiligen Landessprache und mit großem Erfolg, ausschließlich im Ausland – in den von Deutschland besetzten oder mit ihm verbündeten Ländern. Aber auch englischsprachige, iranische und sogar arabische Ausgaben wurden produziert. Insgesamt in 25 Sprachen konnte es gelesen werden – halbmonatlich und bei einer Gesamtauflage von rund 2,5 Millionen Exemplaren. Von der Breitspurbahn lasen also dem Nazireich mehr oder weniger gewogene Franzosen und Rumänen, Norweger und Spanier, aber auch in den besetzten Ländern stationierte Angehörige der Wehrmacht und der diplomatischen Vertretungen des Deutschen Reiches.
Der Zwang zum Gigantischen
Für die Propagandazwecke der Zeitschrift Signal eignete sich das technische Großprojekt ausnehmend gut. Seit 1940 warb man mit Bildern von ansehnlichen Soldaten in Kampfeinsätzen und den stets fröhlich absolvierten Mußepausen dazwischen sowie auf Farbseiten mit gelegentlich sparsam bekleideten Damen und tatkräftigen Müttern an der »Heimatfront« für die Sache des Nationalsozialismus und der deutschen Kriegführung. Nur die besten Journalisten, Layouter und Fotografen arbeiteten für Signal , das die Modernität und die Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches vermitteln und dem Kontinent das Ziel schmackhaft machen sollte, Europa unter deutscher Führung zu »einen«. Ein »neues Europa« in all seinen verlockenden Farben und Facetten wurde propagiert, und ab Oktober 1941 führte eine Artikelreihe in lockerer Folge die Vorzüge eines »Verkehrs ohne Grenzen«, eines kontinentalen Schiffs-, Luft- und Schienenverkehrs an, darunter war eben auch die geheime Planung einer Breitspurbahn. »Die ungeheuren Vorteile einer Bahnlinie, die den Fernen Osten mit Europa verbindet, auf der ein Personenzug in 5 Tagen, ein Güterzug in 10 Tagen die 9.931 Kilometer lange Strecke Berlin – Wladiwostok überwinden kann, liegen auf der Hand«, heißt es dort. Eine derart große Aufgabe, auch das macht der Artikel deutlich, vermag nur ein kraftstrotzendes Land wie das »Großdeutsche Reich« zu bewältigen.
Für die Maßstäbe herkömmlicher Eisenbahnen hegt der Autor denn auch wenig Sympathie. Die mitteleuropäische Normalspur nennt er abfällig »Postkutschenmaß«, und die größeren Spurweiten Russlands (1.570 Millimeter) und der Iberischen Halbinsel (1.668 Millimeter) für ein gesamteuropäisches Bahnnetz kaum lohnenswert. »Eine Eisenbahn alter Bauart kann auch den Anforderungen, die an eine solche Linie gestellt werden müssen, nicht genügen. (…) Erst eine Spurweite von ganzen vier Metern gibt einer neuen weltweiten Entwicklung im Eisenbahnverkehr Luft und Raum. Jetzt können die Techniker ungehindert von den einengenden Bedingungen, die ihnen die Normalspur auferlegte, schnelle, gewaltige Lokomotiven mit phantastischen Maschinenleistungen bauen und Züge, die Hunderte von Metern lang sind.«
In die gigantomanischen Vorstellungen des nationalsozialistischen Deutschland passte das Projekt der Breitspurbahn ganz vortrefflich. Die herkömmliche europäische Spurweite dagegen entsprach dem zwanghaften Drang seines »Führers«, den Maßstab in jeglicher Hinsicht aufzublasen, überhaupt nicht. Ob Herrschaftsraum oder Titelschwelgerei, ob Architektur oder Technik: Alles wurde überdimensioniert und wie aus einem unüberwindlichen Minderwertigkeitskomplex heraus stets mit Superlativen weltweit verglichen. Mal musste das Römische Reich herhalten, mal Metropolen wie New York oder London, mal architektonische oder technische Höchstleistungen, die das Deutsche Reich mühelos zu übertrumpfen gedachte. Und so protzt Signal in Sachen Breitspurbahn mit den angestrebten Proportionen:
»Die Lokomotive des Fernzuges ist allein etwa 70 Meter lang und leistet 24.000 PS. (Die normale D-Zug-Lokomotive ist etwa 25 Meter lang und hat 2.100 PS.) Der ganze Zug ist windschnittig verkleidet. Jeder der 15 zweistöckigen Wagen ist 50 Meter lang und sechs Meter breit, das heißt: genau doppelt so lang und mehr als doppelt so breit wie ein normaler D-Zug-Wagen.« Aber nicht nur die technische Großleistung sollte beeindrucken, sondern gleichermaßen die Aussichten auf bequemes Reisen nach dem »Endsieg«: »Schlafwagen, in denen es
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