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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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voller Entsetzen an die Zentrale in Dearborn: »Auf den Besitzungen gibt es keinerlei Organisation. Niemand hat eine Vorstellung vom großen Ganzen. Die Verschwendung schreit zum Himmel. Derzeit ist es ein Fass ohne Boden.«
    Als Fass ohne Boden erwies sich auch der Teil des Unternehmens, den man als US-zivilisatorische Mission à la Ford bezeichnen könnte. Er uferte in jeder Hinsicht aus, sodass das eigentliche Anliegen, der Aufbau ausgedehnter, profitabler Kautschukplantagen, zeitweise völlig aus dem Blick geriet. Dafür war Henry Ford höchstpersönlich verantwortlich, denn er hatte ja mehr im Sinn als profitable Plantagen: ein umfassendes Projekt, das in jeder Facette seiner Philosophie und seinem ganz persönlichen Missionsgedanken entsprechen sollte. Statt sich also mit dem Aufbau der Pflanzungen und der sachgemäßen Pflege der Setzlinge zu befassen, konzentrierte man sich auf die Errichtung eines kleinen nordamerikanischen Musterstädtchens. Ein Dokumentarkurzfilm aus dem Hause Walt Disney, der mit Ford persönlich befreundet war, zeigt noch 1944 die stolzen Ergebnisse des US-Außenpostens am Tapajós. Kamerafahrten durch saubere Teerstraßen entlang gepflegter Vorgärten, emsige Arbeiter beim Roden des Dschungels, Krankenhauspersonal in blütenweißen Kitteln, dankbare brasilianische Kinder, die die Schulspeisung verschlingen – die Aufnahmen mochten die nordamerikanischen Zuschauer mit Stolz auf das eigene Land und Respekt vor der Leistung Fords erfüllen. Dem Urwald ein Städtchen mit geteerten Straßen und Vorgärten, mit Telefon, Straßenbeleuchtung und Kanalisation sowie anderen zivilisatorischen Errungenschaften abzuringen war ja auch eine durchaus beachtliche Leistung.
    Allerdings hatte Fordlandia keineswegs ausschließlich Schokoladenseiten zu bieten. Beispielsweise entsprach die Bauweise der Wohnhäuser in keinster Weise den klimatischen Bedingungen des Regenwaldes, und ihre Bewohner schwitzten darin wie im Backofen, weil sich unter den Metallspitzdächern die feuchte Hitze staute, anstatt die Bewohner davor zu schützen. Grund dafür war Fords verstockte Entschlossenheit, Fordlandia nach US-Vorbild bauen zu lassen. Immerhin sorgten in den Alleen Mangobäume für Schatten. Andere west­liche Errungenschaften überzeugen aber durchaus: Ein Kraftwerk sorgte für die Stromversorgung, ein Abwassersystem für Hygiene, Dutzende Kilometer Straße und Schienen für kurze Wege. Das moderne Krankenhaus war stets gut ausgelastet und bot eine medizinische Qualität, die im Amazonas sonst nirgendwo anzutreffen war, schon gar nicht in den entlegenen Gegenden des Regenwaldes. Ford ließ außerdem einen Hafen bauen, drei Schulen, mehrere Kirchen und Clubhäuser, daneben Tennisplätze, einen Golfplatz und Schwimmbäder sowie Parks.
    Drei Jahre nach Beginn der Arbeiten in Fordlandia konnten die Ford-Mitarbeiter erstmals das Gefühl haben, ein Etappenziel erreicht zu haben. Zum Symbol für die ersten sichtbaren Erfolge wurde der typisch US-amerikanische Wasserturm, der bis heute von weither den Ort markiert. Er war mit 45 Meter Höhe das höchste Bauwerk des Amazonas. Als er 1930 errichtet wurde, war zu seinen Füßen eine funktionierende Kleinstadt entstanden, die ebenso gut in einem südlichen Bundesstaat der USA hätte stehen können.

Ein Fass ohne Boden
    Die Brasilianer, die sich im Regenwald unter Fords Fittiche begaben, bildeten aber keine bloße Staffage im Urwald-Musterstädtle. Sie waren gleichzeitig seiner ideologischen Hartnäckigkeit ausgeliefert, denn Henry Ford wollte, dass sie nach seiner Fasson selig würden. Sie sollten sich sogleich den Regeln und der Disziplin des Unternehmens unterwerfen und den american way of life annehmen, was sich bei ganz anderen Lebensbedingungen und anderer Mentalität als kaum durchsetzbar erwies. Da jedoch ließ die Ford-Zentrale nicht mit sich reden. Allerdings waren die frisch engagierten Arbeiter weder feste Arbeitszeiten gewohnt noch ohne Weiteres gewillt, einer Werkssirene zu gehorchen. Ebenso wenig wollten sie auf Alkohol verzichten oder Kontrollbesuche zu Hause hinnehmen, mit denen Ford sicherstellen wollte, dass seine Arbeiter eine hygienische, gesunde Lebensweise führten. Ein Ergebnis der unsensiblen Reglementierung war ein enorm hoher Krankenstand und eine riesige Fluktuationsrate, die den chronischen Mangel an Arbeitskräften zusätzlich verschärfte.
    Immer wieder gab es Unmut seitens der Brasilianer, der meist kulturell begründet war und sich gegen das

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