Granger Ann - Varady - 01
zusammen mit Ganesh zum Gestüt, um Alastair
und Ariadne zu besuchen.
Es war eigenartig, hierher zurückzukehren. Das Gestüt
sah diesmal so vertraut aus, ganz anders als beim ersten
Mal, als ich auf gut Glück hierher gekommen war. Mir wurde bewusst, dass ich den beiden alten Herrschaften vorgekommen sein musste wie eines der Flüchtlingskinder aus
dem Londoner East End, die während des Zweiten Weltkriegs aufs Land evakuiert worden waren. Sie hatten mich
auf die gleiche Art und Weise aufgenommen und willkommen geheißen, wie man es im Krieg für diese Kinder getan
hatte.
Die Vertrautheit reichte nicht aus, um meine Verlegenheit ganz zu überdecken. Ich sah Kelly im Hof. Sie erblickte
mich und verschwand mit hängendem Kopf in einem der
Ställe. Ihre Welt war mit Nicks Verhaftung zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Sie liebte ihn wahrscheinlich
immer noch und träumte, dass er eines Tages aus dem Gefängnis kommen und bereit sein würde, sie zu erhören, und
dass er sich von ihr helfen lassen würde, wieder ein normales Leben zu führen. Sie verschwendete ihre Zeit.
Jamie war nicht da. Er war nach Deutschland gereist, erfuhr ich, um ein paar Pferde zu besichtigen, die aus dem
Gestüt stammten und bei irgendeinem Wettbewerb gemeldet waren. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Ariadne ihn
jetzt als ihren Erben eingesetzt hatte. Es schien, als hätte sie
keine große Wahl – doch das gehörte nicht zu den Dingen,
über die wir redeten.
Wir erfuhren, dass Penny Bryant die Farm zum Verkauf
anbot. Penny tat mir Leid. Ich wäre gerne hingegangen und
hätte sie besucht, doch es war wohl besser, wenn ich sie in
Ruhe ließ. Sowohl Alastair als auch Ariadne gaben ihrer
Sorge wegen der großen Gefahr Ausdruck, in die ich mich
begeben hatte. Alastair sagte, dass er sich verantwortlich
fühle, denn er sei zu Besuch zu mir nach London gekommen und habe mich auf die Fährte des Mörders gesetzt, wie
er es ausdrückte.
Ich versicherte ihm, dass ihn keinerlei Verantwortung
traf, und ich spürte, dass er es hören wollte. Er fand eine
Entschuldigung, um unter vier Augen mit mir zu reden,
und reichte mir einen Umschlag.
»Wie vereinbart«, sagte er.
Ich wollte ihn nicht annehmen, doch Bettler dürfen nicht
wählerisch sein. Ich konnte das Geld gut gebrauchen, und
ich fand auch, dass ich es mir verdient hatte.
Bevor wir nach Hause fuhren, machten wir noch einen
Besuch, Gan und ich. Wir fuhren nach Abbotsfield auf den
Friedhof, wo Terry begraben lag. Ich hielt es für meine
Pflicht. Ich wollte ihr sagen, dass nun alles in Ordnung sei.
Doch vielleicht wusste sie es ja auch bereits.
Es war sehr schön hier unten, all die Bäume und der sorgfältig gepflegte Rasen. Das schiefe Holzkreuz war einem
neuen weißen Grabstein gewichen, und in einer Marmorvase standen frische Blumen. Ein Gefühl von Ruhe ging von
ihrem Grab aus, und ich dachte, dass sie nun ihren Frieden
gefunden hatte und wahrscheinlich froh war, dass alles aufgeklärt war. Ich schuldete ihr nichts mehr – auf gewisse
Weise kannte und verstand ich sie nun besser als früher,
und wenn sie dort, wo sie nun war, denken und fühlen und
mich sehen konnte, dann ging es ihr wahrscheinlich genauso. Wir waren zu guter Letzt Freundinnen geworden.
Ganesh hat seine eigenen Vorstellungen von Reinkarnation und meint, dass Terry nun an irgendeinem anderen Ort
in der Welt in irgendeinem anderen Körper lebt, wahrscheinlich als Baby, das gerade erst irgendwo geboren wurde. Ich bin nicht so sicher, ob mir diese Vorstellung gefällt.
Ich weiß gerne, wer ich bin.
Ich bin ich. Fran Varady.
Oh, und ich habe Declan getroffen – und ich habe ihm gehörig die Meinung gesagt!
Alastair meint, dass er eine Wohnung kennt, die ich mieten könnte. Sie liegt im Erdgeschoss des Hauses einer alten
Dame, mit der er bekannt ist. Eine pensionierte Bibliothekarin, oben in NW1. Es klingt sehr vornehm für meinen Geschmack. Andererseits würde ich gerne mit jemandem über
Bücher reden. Sobald ich Geld übrig habe, werde ich Nev
alle Bücher ersetzen, die diese elenden Kinder beim Einbruch in meine Wohnung vernichtet haben.
Ganesh ist monumental beleidigt, weil ich davon rede,
aus der Gegend wegzuziehen.
»Es wird dir nicht gefallen, oben im Norden«, hat er gesagt, als würde ich nach Schottland ziehen und nicht nach
NW1. »Sie sind nicht so freundlich und nett wie wir hier
unten.«
»Wer ist wir?«, entgegnete ich. »Etwa Edna auf ihrem
Friedhof? Oder die Jugendlichen, die
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