Granger Ann - Varady - 01
geeignet gewesen wäre, eine Subvention aus städtischen
Mitteln oder der Nationalen Lotterie zu gewinnen. Doch
zwischen dem endgültigen Absturz in die Tiefe und der Eingliederung in die Normalität planten wir gewaltige Karrieren, geboren in der Anonymität der Jubilee Street, ganz
gleich, wie unsere individuellen Geschicke aussehen mochten. Wir täuschten uns selbst auf jede nur erdenkliche Weise. Träume schlagen die Wirklichkeit eben jeden Tag aufs
Neue.
Übrigens muss ich Squib aus unserem großen KarriereSzenario ausklammern. Squib lebte konsequent von einem
Tag zum anderen und trug nicht einmal den Ansatz eines
Plans mit sich herum. Jedenfalls nichts, wovon irgendeiner
von uns je gehört hätte.
Nev hatte Pläne. Sie kamen daher in Form einer zwanzigseitigen Synopse für seinen großen Roman, der in seiner
Länge wohl Krieg und Frieden Konkurrenz machen würde.
Tag für Tag schrieb er unermüdlich auf einer alten mechanischen W-H.-Smith-Schreibmaschine vor sich hin. Noch
heute frage ich mich manchmal, ob er seinen Roman je beendet hat.
Squib war Pflastermaler. Er konnte alles kopieren. Manche werden sagen, dass seine Malerei nicht das Schöpferische zur Kunst besitze, weil er nichts Eigenes erschaffe, doch
sie haben nicht gesehen, was er mit einer Kiste voller Kreide
und ein paar sauberen Platten auf einem Gehweg alles bewerkstelligen konnte. Alte Meister, von brauner Firnis und
Zeit zu Museumsstücken degradiert, erwachten unter
Squibs geschickten Händen zu neuem Leben. Sie sprachen
so beredt zu den Passanten, dass manche wegen der Lebendigkeit der Kreidegesichter unter ihren Füßen sichtlich aus
der Fassung gerieten. Einmal kam ein Kunstkritiker vorbei
und begeisterte sich derart für Squibs Arbeiten, dass er davon sprach, ihn der ganzen Welt vorzustellen, ein Zwischenfall, der Squib richtiggehend peinlich war. Die Vorstellung,
vom Establishment vereinnahmt zu werden, versetzte Squib
in derartige Panik, dass er sich mit seiner Schachtel Kreide
davonstahl und eine Zeit lang in der Provinz das Pflaster
bemalte, bevor er es für sicher genug hielt, nach London zurückzukehren.
Was mich anging, ich klammerte mich noch immer an
meinen Kindheitstraum, Schauspielerin zu werden. Das Leben war mir irgendwie in den Weg gekommen. Ich war am
College in einem Kurs in Dramatik durchgefallen. Seither
hatte sich mir die Rolle des Bühnen- und Bildschirmstars,
abgesehen von einigen Auftritten beim Straßentheater, irgendwie entzogen. Ich hoffte noch immer, es eines Tages zu
schaffen. Kurzfristig war ich voll und ganz damit beschäftigt, mich über Wasser zu halten. Und ein Auge auf die beiden anderen zu haben.
Wir drei waren als Erste in das Haus gezogen. Kurze Zeit
später hatte sich Declan zu uns gesellt, ein kleiner drahtiger
Bursche mit wirrem, schulterlangem Haar und einem gutmütigen, elfenhaften Gesicht. Er war an beiden Armen stark
tätowiert; auf einem prangte eine Furcht erweckende
Schlange, auf dem anderen ein Herz Jesu. Er erinnerte sich
daran, wie er sich das Herz hatte eintätowieren lassen, doch
wie die Schlange auf seinen Arm gekommen war, wusste er
angeblich nicht mehr. Er sei eines Morgens mit einem gewaltigen Kater aufgewacht, und da wäre sie gewesen und an
seinem Arm emporgekrochen. »Ich dachte im ersten Augenblick, ich hätte ein Delirium tremens «, sagte er. Manchmal streckte er seinen Arm vor sich aus und betrachtete die
Schlange nachdenklich. Ich glaube, es beschäftigte ihn wirklich.
Declan war als Rockmusiker ohne Band zu uns gestoßen.
Sein früherer Lead-Gitarrist war beim Proben in einem Kirchensaal durch einen elektrischen Schlag gestorben.
»Die Haare standen dem armen Kerl zu Berge«, erzählte
Declan in trauriger Verwunderung. »Gott sei seiner Seele gnädig, aber es war ein verdammt lustiger Anblick. Bis wir merkten, dass er tot war, versteht ihr? Das machte uns schlagartig
nüchtern. Wir standen herum und versuchten, uns an Wiederbelebungsmaßnahmen zu erinnern, während wir auf den
Notarzt warteten. Obwohl wir sehen konnten, dass er hinüber war. Zu allem Übel war auch noch der Verstärker
durchgebrannt und wir hatten nicht die Kohle, um einen
neuen zu kaufen. Ausgerechnet in diesem Augenblick, man
soll es nicht glauben, kam irgend so ein Spinner hereingerannt und brüllte uns an, dass im ganzen Haus die Sicherungen rausgeflogen wären. Wir wurden so stink wütend, weil
er keinen Respekt für den Toten zeigte, dass der Drummer
und ich den Kerl
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