Grant County 05 - Gottlos
wissen, wie es geht, und tatsächlich mit einer Waffe umzugehen sind zwei Paar Schuhe.» Lena spürte die Schärfe seiner Worte, und sie hasste sich für ihre Unentschlossenheit. Verdammter Jeffrey mit seinen Befehlen. Sie hatte gewusst, was sie zu tun hatte. Sie hätte auf ihr Bauchgefühl hören sollen.
Terri zischte: «Raus hier, Paul.»
«Willst du das Ding wirklich benutzen?», fragte er. «Und wenn du Tim triffst?» Er zog sie auf, als wäre das alles ein Spiel für ihn. «Komm schon. Zeig mir, wie gut du schießen kannst.» Lena beobachtete, wie er auf Terri zuging, Tim auf seinem Arm. Er benutzte das Kind als Schutzschild, während er Terri verhöhnte. «Komm schon, Genie, zeig, was du draufhast. Erschieß dein eigenes Kind. Eins hast du ja schon umgebracht, oder nicht? Auf eins mehr oder weniger kommt es nicht an.»
Terris Hände zitterten. Sie stand breitbeinig da, in einer Hand hielt sie den Revolver, mit der anderen stützte sie den Kolben. Doch mit jedem Schritt, den Paul machte, schien ihre Entschlossenheit nachzulassen.
«Du dummes Flittchen», spottete er. «Komm schon, erschieß mich.» Er war nur noch einen halben Meter von ihr entfernt. «Drück den Abzug, kleines Mädchen. Zeig mir, was du draufhast. Wehr dich ein Mal in deinem jämmerlichen kleinen Leben.» Plötzlich streckte er die Hand vor und riss ihr die Pistole weg. «Du blöde Gans.»
«Lass ihn gehen», flehte sie. «Lass ihn los und geh.»
«Wo sind die Papiere?»
«Ich habe sie verbrannt.»
«Du verlogene Schlampe!» Er holte aus und schmetterte ihr den Revolver ins Gesicht. Terri fiel zu Boden, Blut quoll aus ihrem Mund.
Allein beim Zusehen tat Lena der Kiefer weh. Sie musste etwas tun. Sie musste ihn aufhalten. Ohne nachzudenken, ging sie in die Knie, dann legte sie sich bäuchlings auf den Boden. Laut Vorschrift musste sie sich identifizieren, musste Paul Gelegenheit geben, die Waffe fallen zu lassen. Doch sie wusste, dass er sich nicht ergeben würde. Männer wie Paul gaben nicht auf, solange sie glaubten, dass sie eine Chance hatten davonzukommen. Und in diesem Moment hatte er zwei Chancen: Eine trug er auf der Hüfte, und die andere lag vor ihm am Boden.
Lena robbte sich vor, bis sie das obere Ende der Treppe erreichte. Die Waffe hielt sie mit beiden Händen, den Kolben auf die oberste Stufe gestützt.
«Na also», sagte Paul. Er hatte Lena den Rücken zugekehrt und beugte sich zu Terri herunter. Der Junge hing immer noch an seiner Hüfte. Lena konnte ihn nicht sehen, und sie konnte nicht auf ihn zielen, weil sie nicht mit Sicherheit ausschließen konnte, dass sie den Kleinen treffen würde.
«Du machst deinem Sohn Angst.» Tim war inzwischen mucksmäuschenstill. Wahrscheinlich hatte er so oft zusehen müssen, wie seine Mutter verprügelt wurde, dass gar nichts mehr zu ihm durchdrang.
Paul fragte: «Was hast du den Bullen erzählt?»
Terri hielt sich schützend die Hände vor den Körper, als Paul zum nächsten Tritt ausholte. «Nein», schrie sie, als der italienische Schuh sie mitten ins Gesicht traf. Wieder schlug sie auf dem Boden auf, ächzend wich die Luft aus ihren Lungen, und Lena spürte einen Stich im Herzen.
Lena richtete die Waffe aus, versuchte mit ruhigen Händen zu zielen. Würde Paul nur aufhören, sich zu bewegen. Würde Tim nur ein bisschen zur Seite rutschen, damit sie das Ganze jetzt gleich beenden konnte. Paul hatte keine Ahnung, dass Lena hinter ihm war. Paul wäre erledigt, bevor er wusste, wie ihm geschah.
«Komm schon, Terri», sagte Paul. Obwohl Terri sich nicht rührte, holte er wieder aus und trat ihr in den Rücken. Terri stöhnte.
«Was hast du den Bullen erzählt?», wiederholte Paul wie ein Mantra. Als Lena sah, dass er dem kleinen Jungen den Revolver an den Kopf hielt, ließ sie ihre Waffe sinken. Das Risiko war zu groß. «Du weißt, dass ich schieße. Du weißt, dass ich sein kleines Gehirn im ganzen Haus verspritze.»
Terri kämpfte sich auf die Knie. Sie rang die Hände, flehte demütig: «Bitte, bitte. Lass ihn gehen. Bitte.»
«Was hast du den Bullen erzählt?»
«Nichts», wimmerte sie. «Nichts!»
Tim begann zu weinen, und Paul sagte: «Ruhig, Tim. Sei ein starker Junge, sei es für Onkel Paul.»
«Bitte», flehte Terri.
Im Augenwinkel sah Lena eine Bewegung. Rebecca stand wie versteinert in der Tür zum Kinderzimmer. Lena schüttelteenergisch den Kopf, und als das Mädchen nicht reagierte, wurde ihr Blick strenger, und sie versuchte, die Kleine mit deutlichen Gesten
Weitere Kostenlose Bücher