Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
zum Abhäuten des Felles. Das warf er seinem Auftraggeber, dem argolischen König Eurystheus, vor die Füße. Herakles hatte die erste seiner zwölf Arbeiten erfüllt.«
»Warum hat er sich eine solche Mühe gemacht?«, wollte ich wissen. »Wer ist dieser König?«
»Er herrschte über Argolis, Tiryns und Mykene. Das Delphische Orakel hatte Herakles zur Knechtschaft bei Eurystheus verurteilt, weil Herakles in einem Anfall von Wahnsinn seine Frau Megara und die Kinder umgebracht hatte.«
»Immer so viel Gewalt und Blut!«, rief ich aus. »Hatten die Menschen denn nie ihren Frieden?«
»Die Geschichte ist eben eine Aneinanderreihung von Kriegen und Kämpfen«, seufzte Kondis.
»Das glaube ich nicht. Das liegt an den Geschichtsschreibern, die alle Männer waren und ihren Spaß an Blut und Gewalt hatten.«
Die Sonne zog sich zu, und dunkle Wolken formierten sich am Himmel. Ein Wind, der von den Bergen kam, wiegte die Zypressen hin und her. Sie sahen aus wie schwarze, drohende Finger.
»Gleich werden wir nass«, warnte ich. »Lass uns lieber weiterfahren!«
Da fing es auch schon an, wie aus Eimern zu gießen.
»Zeus stürzt sich als Regen auf seine Frau, die Erde. Spürst du, wie sie voller Lust aufstöhnt und mit den Öffnungen ihres Körpers seine Flüssigkeit in sich aufnimmt?« Kondis stand mit ausgebreiteten Armen im Feuchten und berauschte sich an den eigenen Worten.
Ich duckte mich in den Windschatten einer Säule. Er lief zu mir, drückte meinen Kopf an seine Brust und umfing mich mit den Armen. Die Geste war theatralisch wie in einer griechischen Komödie, die vor 2400 Jahren begeistert hatte. Das Rauschen des Windes hatte Ähnlichkeit mit einem aufbrausenden Applaus. Die Zeit drückte auf den Stopp-Schalter. Ich musste raus aus der Sache, denn mein Leben fand hier und heute statt.
»Du bist klitschnass«, stellte ich fest. »Ein Schnupfen ist nur noch eine Frage von Tagen.«
Meine profanen Äußerungen störten ihn nicht bei seinem romantischen Höhenflug im Stil der Klassiker.
»Schau den Salbei, wie er vom Wind gepeitscht wird!« Er starrte auf einen silbernen Busch mit schmalen, lanzettförmigen Blättern, von deren Oberfläche das Wasser abperlte und zu Boden fiel. »Schau die Zypressen, wie sie sich winden in der Umarmung des Gottes!«
»Komm auf den Teppich zurück, Süßer!«, empfahl ich. »Sonst hebst du ab und bist für immer verschwunden.«
»Jeder Grieche hat die Pflicht, die Geschichte zu achten und zu bewahren!«, meinte er gekränkt.
»Logo«, beruhigte ich ihn und griff in sein feuchtes, schwarzes Haar und schob es aus seiner Stirn. »Aber Übertreibung wirkt eher komisch. Findest du nicht?«
»Du bist die unromantischste Frau, die ich kenne«, maulte er.
Ich lachte. Er küsste mich und ließ sich viel Zeit dabei. Wir waren wieder auf dem Boden.
»In wenigen Stunden ist unsere Freiheit zu Ende«, flüsterte er in meine Halsbeuge. »Dann haben wir wieder diese elende Reisegruppe am Hals. Sollen wir nicht einfach umkehren und irgendwo hinfahren?«
»Schön wär's«, gab ich zu. »Doch das kannst du nicht machen. Es sind doch nur noch ein paar Tage, dann hast du es hinter dir.«
»Und was ist mit uns?«, fragte er.
Mir fiel keine passende Antwort ein.
»Entschuldige! Vergiss die Frage.« Es klang traurig. »In Deutschland bin ich ja nur der erfolglose Inhaber einer drittklassigen Reiseagentur, der zudem noch eine dunkle Vergangenheit hat.«
»Hör endlich auf, mit deinem Schicksal zu kokettieren!«, forderte ich. Der Regen lief mir übers Gesicht in den Ausschnitt meines Sonnentops. »Wenn du zurück bist, werden wir deine Sache von vorne aufrollen. Wir werden denjenigen schon finden, der jahrelang Kunstschätze aus deinem Museum geklaut hat! Irgendwer hat irgendwo Spuren hinterlassen, das ist bei solchen Geschichten immer so.«
»Du willst mir helfen?« Es klang erstaunt.
»Wenn ich kann. Schau! Der Regen hat aufgehört. Lass uns nach Mykene fahren. Und mach nicht so ein erstauntes Gesicht! Wir werden den Dieb schon finden. Ich habe das Gefühl, dass er ein Mitglied der Reisegruppe ist.«
»Du denkst an Unbill?« Er war eher skeptisch.
»Ja. Er hätte genauso viel Gelegenheit gehabt wie du. Aber er brauchte einen Verbindungsmann, einen Komplizen, der die Sachen herausgeschafft hat. Hat sein Sohn mal in deinem Museum gearbeitet?«
Jason überlegte. »Nein, ich kann mich nicht daran erinnern. Wir haben zwar häufiger Studenten, die während des Semesters ein Praktikum
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