Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser
erreichte das Ende des Grundstücks. Neben einem Teich stand eine blau gestrichene Laube. In deren Nähe – durch quadratische Steine abgetrennt – erkannte ich einen Kräutergarten, in dem es das Übliche gab, das die bessere Hausfrau zum Kochen verwandte: Salbei, Minze, Rosmarin und Thymian. Von dem restlichen Grünzeug kannte ich die Namen nicht. Plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden, konnte aber weder im Haus noch sonst wo jemanden entdecken.
Ich stakste zurück, ruinierte meine Pumps und fluchte herzhaft. In Höhe des alten Kirschbaums sah ich ihn auf dem Zaun sitzen. Der schwarze Vogel hielt sich geduckt und glotzte mich mit schwarzen Augen an. Sein Gefieder glänzte, er schlug unkoordiniert mit den Flügeln und schüttelte den Kopf, als wollte er sich von etwas Lästigem befreien.
Ich begriff: Das war der Rabe, der gegen das Glas geprallt war. Zum Glück lebte er noch. Aus dem Nasenloch über dem gebogenen Schnabel rann frisches Blut.
Beruhigend sprach ich auf das Tier ein und bewegte mich dabei vorsichtig rückwärts. Ich wollte es nicht wieder in Panik verfallen lassen; nur mühsam gelang es dem Vogel, nicht vom Zaun zu fallen.
Er stirbt doch noch, dachte ich und mein Magen krampfte sich zusammen. Ich konnte keine Tiere sterben sehen und brachte in der Redaktion jede Spinne oder Wespe eigenhändig nach draußen, was dem Bestreben, mich zur komischen Alten abzustempeln, ausgesprochen förderlich war.
Wind kam über das Feld. Der Rabe schüttelte sich, wiegte den Kopf hin und her, atmete in den Luftstrom, und als eine kräftige Windböe aufbrauste, ließ er sich in sie hineinfallen und von ihr wegtragen.
Er taumelte erst tief über den Rapspflanzen, schraubte sich dann aber höher und schaffte es, im Wipfel eines Baumes zu landen. Vielfaches Rabengeschrei – seine Leute begrüßten ihn. Das ist ein Happy End, wie es nur die reale Welt beschert, dachte ich, und nicht so ein süßlicher Kitsch à la von Berghofen.
Ich näherte mich dem Zaun, auf dem der Vogel gesessen hatte. Im Draht hatte sich eine schmale schwarze Feder verfangen. Vorsichtig zog ich sie heraus. Das Schwarz glänzte in der Sonne mit einem blauen Schimmer. Der Kiel war weiß und seine Spitze blutig.
Ich umwickelte den unteren Teil mit einem Stück Papiertaschentuch und steckte die Feder ein.
Natürlich tat sich im Erdhaus noch immer nichts, was mir aber nicht ungelegen kam. Jansen würde zwar nicht erfreut sein, aber: keine Lilo, keine Story.
Zurück bei meinem Auto bemerkte ich eine Schramme an der Tür. Der Verursacher hatte sich aus dem Staub gemacht. Den Tag kannste vergessen, dachte ich, Pleiten auf der ganzen Linie. Wenigstens ist der Rabe nicht gestorben.
Die Mittagszeit war vorbei und mein Magen knurrte. In Berghofen gab es nur ein Frühstücksbistro und eine nicht besonders vertrauenerweckend wirkende Pizzeria – von den Dorfkneipen mit sogenannten Stammgerichten abgesehen. Meistens handelte es sich dabei um Kreationen mit westfälischem Einschlag, Roulade oder Schlackwurst, Bratkartoffeln und Kohlwurst – nicht mein Ding.
Bevor ich den Motor startete, rief ich Jansen an und berichtete von meiner glücklosen Recherche.
»Dann warte eine Stunde und versuch's noch mal«, riet er. »Irgendwann wird sie schon nach Hause kommen.«
»Ich habe Hunger.«
»Dann geh was essen.«
»Hier?«
»Warum nicht? In Berghofen gibt's genug Kneipen, die Mittagstisch anbieten.«
»Woher weißt du das?«, fragte ich meinen Chef.
»In jedem Vorort gibt es die. Heute Abend möchte ich eine Erfolgsmeldung, Grappa.«
»Vielleicht ist die Frau ja auf Lesereise«, gab ich zu bedenken. »Oder sie lässt sich im schottischen Hochmoor von einer männlichen Muse küssen.«
»Klar. Sie könnte auch von Außerirdischen entführt oder von Mädchenhändlern verschleppt worden sein.« Jansen klang genervt.
»Aus dem Alter ist sie wohl raus«, entgegnete ich. »Vielleicht hat sie mich auch vor dem Haus gesehen und findet mich nicht sympathisch.«
»Nicht doch, Grappa: Dich zu sehen und richtig gern zu haben, hängt doch zusammen«, frotzelte Jansen.
»Ich bin sogar ums Haus geschlichen«, berichtete ich. »Aber außer einem Schwarm Raben habe ich nichts Lebendiges entdeckt. Vielleicht ist sie ja tot – erstickt an ihren süßlichen Liebesklischees. Wäre doch ein schöner Tod für eine Nackenbeißerin.«
»Nackenbeißerin?«
»Ist ein Fachausdruck. Schundromane heißen in der Literaturwissenschaft auch Nackenbeißer. Und
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