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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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untersetzt, ohne fett zu sein, und sah italienischer aus, als sich die Opern von Verdi und Puccini anhören.
    Sein Teint war olivgelb, die Haut großporig, Haar und Schnurrbart tiefschwarz und dicht. Er war mit einem maßgeschneiderten leichten Wollanzug bekleidet, der einen feinen Längsstreifen aufwies. Eine dicke goldene Uhrkette endete in der Tasche einer silberschillernden Brokatweste. Die Schuhe waren aus echtem Schlangenleder.
    »Das ist mein Freund Alfons Brokkoli«, unterbrach Boss meine Milieu-Studien. »Kommen Sie, ich stelle Sie ihm vor.«
    Bertha trottete hinter uns her. Der Italiener nahm seinen Freund Boss zunächst nicht zur Kenntnis, denn er scherzte mit Tiziana d‘Amico. Ich horchte genauer hin.
    Der Mann hatte nicht die Spur eines italienischen Akzents. Er sprach allerfeinstes Hessisch mit Frankfurter Hauptbahnhofseinschlag.
    »Da freu isch misch abba!« sagte er, als Boss meinen Namen nannte.
    »Der soll Italiener sein?« fragte ich ungläubig, als wir zu Seite gedrängelt wurden.
    »Er kommt nicht direkt aus Italien«, räumte Boss ein, »aber er liebt dieses Land. Ihm gehören dort Weinberge und Landsitze.«
    »Und womit verdient er sein Geld?«
    »Er ist im Gastronomiebereich tätig. Bars und Tanzlokale.«
    57 Ein Früchtchen namens Carola
    »Ich habe Rita und ihre Tochter zum Abendessen eingeladen«, verkündete Bertha am nächsten Abend am Telefon, »ich hoffe, du kommst auch. Aber sei nett zu den beiden!«
    »Ich komme. Um den Wein brauchst du dich nicht zu kümmern. Ich werde die Cantina in meinem Keller ein bißchen plündern«, bot ich an.
    »Sehr gut. Es gibt gegrilltes Spanferkel mit Sauerkraut und Kartoffelgratin.« Bertha liebte es deftig und deutsch.
    Ich wählte einen Edelzwicker - aber einen von der besseren Sorte. Er würde dafür sorgen, daß das Schwein nicht allzu viel Unheil anrichtete.
    Berthas Wohnung war eine chaotische Mischung aus Boudoir, Turnhalle und Antiquitätenladen. An einen Salon der Zwanziger Jahre erinnerten die üppigen Arrangements aus Vorhängen, Polstermöbeln und Jugendstil-Accessoires. An einer Wand stand ein kleines Trampolin, auf dem sich Bertha in Form hielt. Ihrer Meinung nach gab es nichts Sinnvolleres im Bereich des Heimsports, als ständig auf und ab zu hüpfen. In den Regalen tummelten sich Uhren, alte Vasen, antiquarische Bücher und Biedermeiergläser.
    Ab und zu wurde die Kollektion erweitert. Der Verdacht, daß Bertha die Stücke genauso »einkaufte« wie ihre zweireihige Perlenkette, wurde durch ein Preisschild bestätigt, das ich an einer Jugendstilvase baumeln sah. So ein teures Stück konnte sie sich bestimmt nicht leisten!
    Die Kruste des angedrohten Spanferkels knackte, als Bertha das Sägemesser ansetzte. Carola war zwar mitgekommen, doch bestimmt nicht freiwillig. Sie blickte auf Berthas Blumentapete, schien die Rosen zu addieren, um sie anschließend mit den Margeriten zu multiplizieren. Ein abendfüllendes Programm für eine Halbwüchsige! »Hast du sie gezwungen mitzukommen?« raunte ich Rita zu.
    Ritas Miene vereiste. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter hatte Nordpoltemperatur.
    58
     

»Hör mal, Carola!« übte ich mein pädagogisches Geschick. »Willst du nicht etwas näher rücken, damit wir uns unterhalten können?«
    »Warum?« blaffte sie mich an. Ihr Blick sprühte Verachtung.
    »Weil wir uns über deinen toten Vater unterhalten wollen. Oder interessiert dich das Thema nicht?«
    »Warum sollte ich mich für Daddy interessieren? Ich war ihm egal und er mir auch. Also, scheiße dieser Abend!«
    »Carola!« kreischte Rita und sprang auf. »Wirst du dich wohl benehmen, wenigstens dieses eine Mal!«
    Die Tochter schaltete auf stur. Sie wandte sich den Löchern in Berthas Tischdecke zu und betrachtete sie mit großem Engagement.
    Carola hatte noch mehr Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, als ich bei unserem ersten kurzen Treffen bemerkt hatte. Doch sie war nicht so weiblich und würde es auch nie werden. Aus ihren Augen sprach ein stählerner Wille, den ich bei einer Drogensüchtigen nicht vermutet hätte. Ihr Körper war mager, der Busen kaum entwickelt, die Beine überlang. Ihr Gesicht war schön. Es hatte ebenmäßige Züge, himmelblaue Augen, hohe Wangenknochen und einen Schmollmund.
    »Du bist ein hübsches Mädchen!« sagte ich. »Hast du denn schon einen Freund?«
    Carola lachte auf. »Hat Mutter Ihnen nicht erzählt, daß ich zwei Jahre lang auf den Strich gegangen bin?«
    Sie lachte wieder, doch es klang nicht

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