Grappa dreht durch
fröhlich. »Hast du denn schon einen Freund?« äffte sie mich nach. »Ich hatte mehr Kerle auf mir, als Sie sich denken können!«
»Eine verdammte Hure bist du!« brüllte Rita plötzlich los. »Erzähl es bloß allen! In der Nachbarschaft weiß es ohnehin schon jeder! Hätte John dich doch in der Gosse verrecken lassen!«
Rita schluchzte los. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern zuckten krampfartig.
Die Stimmung strebt unaufhaltsam ihrem Höhepunkt entgegen, dachte ich, ich muß etwas tun, aber was?
59
»Es reicht!« sagte ich laut. »Reißt euch zusammen. Wenn du nicht bleiben willst, Carola, dann verschwinde, aber hör auf, uns zu nerven. Wenn du dich entscheidest hierzubleiben, dann gibt‘s jetzt was auf die Gabel. Bertha, das Schwein wird kalt!«
»Sie glauben wohl, Sie sind verdammt cool drauf, was?« Carola erhob sich. »Haut euch euer Schwein rein, aber ohne mich! Ich geh ins Kino. Hab keinen Bock auf Grufti-Gequatsche!«
Dann stürzte sie aus dem Zimmer. Wir hörten die Tür schlagen.
»Geht sie wirklich ins Kino?« fragte ich Rita.
Sie zuckte mit den Schultern. »Sie lügt, wenn sie den Mund aufmacht. Wahrscheinlich sucht sie sich ein paar Freier, denen sie ein paar hundert Mark abknöpfen kann. Soll sie machen, was sie will!«
»Tu nicht so gleichgültig«, sagte ich und nahm einen Schluck Edelzwicker. »Was sollte deine Bemerkung eben bedeuten? Daß John sie hätte in der Gosse lassen sollen?«
»Das war vor anderthalb Jahren. Carola wurde von der Polizei aufgegriffen wegen Prostitution im Sperrbezirk. Sie war völlig fertig, abgemagert und krank. John hat ihren Zuhälter ausfindig gemacht und ihn angezeigt. Nachdem Carola vier Monate offene Therapie hinter sich hatte, zog sie wieder bei uns ein.«
»Sie hatte einen Zuhälter? Kennst du seinen Namen? Ist er verurteilt worden? Immerhin ist Carola minderjährig.«
»Ich weiß nur, daß es ein Italiener war. John hat mit mir nicht darüber geredet. Einen Prozeß gegen ihn hat es nicht gegeben. Vermute ich wenigstens. Sonst hätte Carola ja als Zeugin gegen ihn auftreten müssen. John hat mir jedenfalls nichts dergleichen gesagt.«
»Ihr wart eine verdammt schweigsame Familie«, stellte ich fest, »worüber habt ihr den ganzen Tag geredet? Übers Wetter vielleicht?«
60
Steife Haare und »Hab-Sonne-im-Herzen«
Rudi Mühlen besaß das, was Fernsehreporter haben müssen: Steife Haare und ein gefrorenes Lächeln. Seine Stimme hatte den »Hab-Sonne-im-Herzen«-Ton, der Meldungen über Kriege, Naturkatastrophen und Massenkarambolagen zu einer erträglichen Abwechslung des Fernsehalltags zwischen Gähnshows und Dauerwerbesendungen machte.
Heute berichtete er live von der Eröffnung der Gesundheitstage, die in Bierstadt alljährlich durchgezogen wurden. Bertha und ich waren live dabei. Wir hockten in meinem Wohnzimmer und guckten fern. Ich mußte mich schließlich mit dem Produkt befassen, an dessen Herstellung ich künftig beteiligt sein würde.
Rudi Mühlen stand neben Oberbürgermeister Gregor Gottwald, der sich gerade an den Vorführungen der Trampolin-Mädchen-Gruppe des Stadtsport-Bundes erfreute.
»Guck mal, Bertha!« rief ich. »Die bringen was über deinen Lieblingssport! Es scheint auch die bevorzugte Turnart unseres Stadtoberhauptes zu sein, so wie der die Mädels anguckt.«
Bertha setzte sich neben mich. Die Sendung trug den originellen Titel »Bierstadt-Regional«. Hier würden demnächst auch meine Filmchen laufen.
»Er sieht nett aus!« stellte Bertha fest.
»Wer? Gregor Gottwald?«
»Nein, der andere, dein künftiger Kollege! Er ist richtig süß mit seinen geföhnten Haaren und dieser sonoren Stimme.« Sie warf ein paar Erdnüsse auf meine Katze, die sich in ihren Schoß gekuschelt hatte.
»Sehr süß«, stimmte ich zu, »so süß wie Industriehonig, und genauso klebrig. Schreckliche Vorstellung, mit dem zusammenarbeiten zu müssen!«
»Schön, daß du den Job in dem Sender gekriegt hast. Rita hat doch gesagt, daß dieser Mühlen noch der harmloseste von der Bande ist.«
»Ich verlasse mich nie auf das Urteil anderer. Auf jeden Fall
61
scheint er eitel zu sein. Und eitle Menschen sind nie harmlos, besonders wenn ihre Gefühle verletzt werden.«
Auf der Mattscheibe folgte die Rubrik »Bierstädter Privatsache«, ein Gesellschaftsmagazin. Es handelte sich um Kurzfilmchen rund um die Bierstädter Prominenz. Natürlich war Gregor Gottwald auch wieder dabei. Er schwärmte von seinen
Weitere Kostenlose Bücher