Grappa Und Die Seelenfaenger
jemanden, der sich frei bewegen kann in der Kirche der Erleuchteten. «
»An wen denkst du?«
»Bettina Weber. Die gehört doch zu dem Laden.«
»Bettina ist aber nicht Klara.«
»Dann hat sich Klara eben als Bettina verkleidet«, trotzte ich.
»Nun lass doch mal die Hasskappe gegen Klara weg. Es gibt einige, die ein besseres Motiv hätten als ausgerechnet sie.«
»Ich weiß. Fuchs war ein unbeliebter Zeitgenosse. Arnold Weber hätte Grund gehabt, denn Fuchs hat den Mörder auf seine Tochter Monika gehetzt, Bettina Weber könnte aus demselben Grund die Täterin sein. Annabell ist die betrogene Ehefrau mit einem geradezu klassischen Motiv.«
»Na, siehst du«, meinte Kleist zufrieden. »Klara passt als Mörderin einfach nicht ins Bild.«
»Noch nicht«, entgegnete ich. »Wie hast du neulich noch so richtig formuliert? Manche Dinge sind nicht so, wie sie scheinen. Und manche scheinen so, wie sie nicht sind.«
Mir ging diese Formulierung nicht aus dem Kopf. Was war an der Beziehung Klaras zu Fuchs nicht so wie es schien? Um herauszubekommen, was die beiden miteinander verband, musste ich mit Klara reden. Aber wo war sie? Ich überlegte. Vielleicht wusste das ja Annabell Stickel – immerhin war sie Klaras Arbeitgeberin.
Nachdem Kleist gegangen war, suchte ich die Telefonnummer von Mystic Food heraus. Annabell Stickel hatte die Firma schon verlassen. Also ab ins Auto und zu ihrer Wohnung. Es war schon spät und meine Chance, sie bei sich zu Hause anzutreffen, war nicht schlecht.
Als ich vom Parkplatz aus auf das Haus zulief, guckte ich die Fassade hoch. Und ging im nächsten Moment hinter einem Baum in Deckung. In der zweiten Etage beugte sich eine Frau aus dem Fenster und schüttelte eine Decke aus: Klara Billerbeck. Na prima, dachte ich. Volltreffer!
Ich klingelte irgendwo – nur nicht bei Stickel. Der Summer zeigte an, dass jemand den Türöffner betätigt hatte. Ich nahm die Treppe nach oben.
Ein Kommissar mit Heiligenschein
Später erinnerte ich mich nur noch an die Farbe des Treppenbelags: dunkelrot mit unregelmäßigen weißen Punkten, wie bei einer Blutwurst. Und an die ärmlich dahindümpelnden Pflanzen auf den Fensterbänken im Treppenhaus. Anthurien und Opuntien, auf denen sich Staub gesammelt hatte. Und der Geruch nach einem Putzmittel mit Ammoniak stieg in meine Nase, wenn ich an diesen Tag zurückdachte. Dass mir jemand die Tür öffnete und wer es war, daran hatte ich keinerlei Erinnerung.
»Maria, bist du wach? Kannst du mich hören?«
Plötzlich war mir wohl, denn ich wusste, dass ich in Sicherheit war.
»Du lächelst ja. Also geht es dir besser.«
Mit Mühe öffnete ich die Augen. Über mir eine weiß getünchte Decke, rechts von mir mein Lieblingshauptkommissar – verschwommen und mit einer Aura umgeben.
»Du hast ja einen Heiligenschein«, murmelte ich. »Bin ich im Himmel?«
»Damit warten wir noch«, sagte Kleist zärtlich und strich mir über die Haare. »Und jetzt schlaf dich aus. Ich passe auf dich auf.«
»Was ist denn passiert?«, fragte ich. Doch dann war ich auch schon wieder weit weg.
Wilde Träume. Ein Garten mit explodierendem Grün. Feuchtwarm. Urwaldgeräusche. Und ein schönes Gefühl. Musik.
When I am Laid In Earth … Überirdisch. Traurige Engel mit großen Flügeln. Ich war berauscht von Glückseligkeit. Wohlige Schauer schwangen durch meinen Körper.
When I am Laid, am Laid in Earth …
Ich hatte Musik nie so gehört. Jede einzelne Note brannte sich in meine Seele. Es hielt mich nicht in meinem Versteck. Eine starke Kraft zog mich mitten in die Musik hinein und ich gab mich ihr hin. Ich wollte in den Garten, doch ich konnte mich nicht bewegen. Irgendetwas hielt mich gefangen. Ich kämpfte dagegen an. Bald gab ich auf und fiel ins Schwarze.
Eine Uhr schlug satte Echos. Die Töne vermischten sich zu einem Kanon. Eine Melodie entstand. Bilder dazu. Grün und Blau, Dschungel und Himmel. Ich schwebte darüber.
»Geht es dir besser?«
Ich versuchte, die Augen zu öffnen, doch vergeblich. Ich wollte nichts hören, keine Antworten geben, sondern dort bleiben, wo ich war.
»Maria!« Eine Hand tastete nach meiner Wange. Leichte Schläge. Ich knurrte unwirsch.
»Es geht dir besser«, sagte Kleist.
»Es dauert eine Weile, bis die Drogen abgebaut sind«, sagte eine zweite Stimme.
»Wo bist du die letzten Tage gewesen, Maria?«
Tage?
»Wo warst du?«
Ich blinzelte. »Im Garten«, flüsterte ich. »Und jetzt geh weg, ich will wieder da
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