0138 - Flucht in die Schädelwelt
Es war eine Nacht zum Fürchten!
Am Himmel türmten sich gewaltige Wolkenberge, die ein böiger Novemberwind wie eine Herde Hammel vor sich herschob. Der Wind kam aus Westen, brauste zum Sturm auf, fiel über das Land her wie ein Raubtier und rüttelte an den Bäumen.
Die Blätter – der erste Frost hatte ihnen schon längst die Kraft genommen – wurden von den Zweigen gefegt, durch die Luft gewirbelt und fielen irgendwo zu Boden, wurden im nächsten Moment wieder hochgehoben und weitergeschleudert.
Novemberwetter!
Die Menschen blieben lieber zu Hause. Herbststürme waren nicht beliebt, sie kündigten immer die kalte Jahreszeit an. London wirkte wie leergefegt. Nur ein paar Unentwegte waren unterwegs.
Selbst die Straßenmädchen hatten sich in die warmen Bars zurückgezogen.
Dem Mann, der in dem kleinen R 4 hockte, war das Wetter egal.
Es freute ihn sogar, daß es stürmte, denn dann konnte er bei seinem Vorhaben nicht so leicht beobachtet werden. Was er tun wollte, war zwar nicht gerade ungesetzlich, aber es paßte auch nicht in das normale Leben.
London hatte er hinter sich gelassen. Er bewegte seinen Wagen durch die nördlichen Stadtrand-Viertel. Hier war noch weniger los.
Auf seiner Fahrt hatte er kaum eine Person auf der Straße gesehen, und auch keinen Hund, denn den jagte man bei diesem Wetter bekanntlich nicht nach draußen.
Er kam an eine Kreuzung und fuhr langsamer. Im Licht der Scheinwerfer glitzerten die ersten Regentropfen. Sie waren ungewöhnlich dick und klatschten hart gegen die Frontscheibe, wo sie von den Wischern sofort wieder weggefegt wurden.
Die Ampel zeigte auf Rot.
Der Mann stoppte.
Rechts ging es zu einer Hochhaussiedlung, wo Tausende von Menschen in grauen Betonblocks wohnten. Links führte der Weg in die Felder hinein, und geradeaus lag das Ziel des einsamen Fahrers.
Der Friedhof!
Der Mann beugte sich vor und starrte auf die Straße, wo der Wind mit dem Laub spielte. Dann schielte der Fahrer zum Himmel hoch, sein Blick traf die dicken Wolken und auch die schmale Sichel des Halbmondes, die hin und wieder hervorlugte, wenn ein paar Wolken zur Seite getrieben worden waren.
Cecil Turner hieß der einsame Autofahrer. Ein Durchschnittstyp, der bei einer Versicherung arbeitete und den ganzen Tag über Formulare ausfüllte. Sein Leben verlief normal. Es geschah nichts Besonderes. Hin und wieder gabelte sich der 30jährige Junggeselle ein Girl auf, schlief mit ihm und schickte es wieder weg. Heiraten wollte er nicht. Warum Diät leben, wenn man von der vollen Tafel schöpfen konnte?
Vor 14 Tagen änderte sich sein Leben schlagartig. Es begann mit dem Traum. Ihm träumte, er befände sich inmitten einer unheimlichen Landschaft, in der es keine Sonne, keinen Tag und keine Nacht gab. Nur ein gefährliches Halbdunkel, durch das er schritt. Er ging einem Ziel entgegen, von dem er nicht wußte, wo es eigentlich lag.
Übergangslos wachte er auf.
In der nächsten Nacht setzte sich der Traum dort fort, wo er zuvor aufgehört hatte.
Turner ging weiter. Diesmal jedoch schneller, und er erreichte auch sein Ziel. Es war ein gewaltiger, fahl schimmernder Totenschädel, so hoch wie ein Berg. Er wuchs aus dem Sand wie ein Gebirge. Wenn Turner den Kopf hob, schaute er in gewaltige, leere Augenhöhlen. Darunter klaffte als riesiges Dreieck der Spalt, in dem normalerweise die Nase wuchs. Und der Mund kam ihm vor wie die Öffnung zu einem gewaltigen Bergwerk.
Der fahlgelbe Schädel, ins Riesenhafte vergrößert, war eine gewaltige Erscheinung. Seltsamerweise verspürte Turner keine Angst vor ihm, er konnte nur staunen.
Damit endete der Traum.
Die nächste Nacht. Wieder sah er sich vor dem Schädel. Aber diesmal war er nicht allein.
Eine Frau trat aus der Öffnung. Ein weibliches Wesen von einer klassischen Schönheit mit langen, roten Haaren, einem fast nackten Körper und dem Gesicht einer Göttin.
Sie schloß ihn in die Arme.
Wieder endete der Traum, und er mußte bis zur nächsten Nacht warten. Turner war schon so gespannt darauf, daß er kaum einschlafen konnte, und als er schlief, erschien ihm die Frau wieder.
Diesmal jedoch wuchsen aus ihrer Stirn zwei Hörner. Wie bei einem Ziegenbock, doch die störten Turner keineswegs, er lauschte dem, was ihm die Frau zu sagen hatte.
»Auf dem St. Henry Cemetery, wo die beiden Hauptwege sich kreuzen, steht eine Ulme. Dort mußt du anfangen zu graben, denn da findest du das, was ich gern von dir hätte.«
»Was ist es?« hatte er gefragt.
»Du
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