Grappa und die Toten vom See
Haus in einen sauberen Zustand, hörte Musik, probierte Rezepte aus und schlief mindestens zehn Stunden am Tag.
Doch trotz aller guten Vorsätze, mich auf andere Gedanken zu bringen, war ich nicht in der Lage, mich daran zu halten.
Kleist hatte sich angekündigt. Er wolle mir etwas Wichtiges mitteilen. Wahrscheinlich geht es um die neue Stelle, dachte ich. Er will mir beibringen, dass er Bierstadt verlässt.
Es kam anders.
»Du hattest recht. Bruns hat doch Kopien von den Dokumenten aus dem Safe gemacht«, berichtete Kleist. »Er würde sie dir zur Verfügung stellen, wenn du sie noch haben willst.«
»Ja, klar. Ich würde sie gern lesen.«
Er zog einen dicken Umschlag aus der Aktentasche und legte sie auf den Tisch.
»Er schlägt vor, dass ihr zusammen ein Buch schreibt. Was Max Motte nicht tut, könnt ihr jetzt machen. Bruns wird einige Zeit im Gefängnis zubringen und hätte die Muße dazu. Du könntest dich um Informationen kümmern, die er aus dem Knast nicht recherchieren kann. Ich finde, dass das eine gute Idee ist.«
Ich nahm den Umschlag und zog die Blätter heraus. Kopien von Briefen, Fotos, Bescheinigungen. Ich blätterte die Papiere durch.
»Das ist ja ein Kriegstagebuch von Theodor Steiger!«, rief ich aus. »Sein Wehrpass und …«, ich wühlte weiter, »… noch andere Briefe von Samuel Cohn. Bankbescheinigungen … unfassbar!«
»Schau dir die Sachen in Ruhe an«, sagte Kleist. »In dem Tagebuch hat Steiger ganz ausführlich über die Morde berichtet und mit ihnen geprahlt. Es ist schwer erträglich, das zu lesen.«
»Sag Bruns, dass ich mitmache«, erklärte ich.
Holger Bruns wurde zu drei Jahren Haft wegen Totschlags im Affekt verurteilt. Ich besuche ihn regelmäßig und unsere Zusammenarbeit läuft gut.
Was gibt es noch zu berichten?
SS-Eddi wartet noch immer auf seinen Prozess wegen Beteiligung an einem Terroranschlag.
Die Soziale Alternative Dorstfeld hat sich aufgelöst und ihre Anhänger sind von der Partei Die Rechte und der NPD mit offenen Armen aufgenommen worden. Wenigstens ist im Negerdorf wieder Ruhe eingekehrt.
Heinz Golombeck wurde wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Golombecks haben ihr Haus verkauft und sind weggezogen. Frau Schmitz kann sich endlich über friedliche Nachbarn freuen.
Friedemann Kleist hat sich noch nicht entschieden, ob er die Karriereleiter hochklettern will und das Abwehrzentrum gegen Extremismus und Terrorismus übernimmt. Vielleicht wartet er darauf, dass ich ihn bitte zu bleiben. Aber dazu kann ich mich nicht aufraffen.
Wirklich Freude macht mir die kleine Palme aus dem Garten des Hotels Victoria in Meina. Sie kümmerte zunächst vor sich hin und schien sich in Deutschland nicht wohl zu fühlen. Doch seit der Klärung der Mordfälle bildet sich ein neues Blatt, das sich jeden Tag um einen halben Zentimeter weiter aus der Erde schiebt. Ich werde die Palme im Sommer in den Garten stellen und an die toten Juden von Meina denken.
°
sponsored by www.boox.to
°
Weitere Kostenlose Bücher