Grass, Guenter
Ast
auf dem Boden des Arbeiter- und Bauernstaates erschlagen hätte.
Achja,
zum Abschied schenkte mir Hermann Kant einen fischförmigen Teller, der einen
mit Porzellanfarben gemalten Butt zum Motiv hatte. In Anspielung auf meinen
gleichnamigen Roman beteuerte er, dieses Buch besonders zu schätzen, weshalb
er bedaure, daß die Zeit noch immer nicht reif sei, derlei Lektüre für
Staatsbürger der DDR freizugeben.
Bald
danach, kaum war die Mauer gefallen, sah sich Kant veranlaßt, seinen
Schriftstellerverband, die Akademie der Künste und gleichfalls den nun
gesamtdeutschen P.E.N.Club zu verlassen. Eigentlich schade. Ich hätte gerne
weiterhin mit ihm gestritten, über dies und das, auch über den Staat und dessen
Sicherheit.
Schon
immer ging es um Wörter. Ist sie rund oder flach? Dies ist, dieses bedeutet.
Was die Deutschen sind oder sein sollen: das Volk oder ein Volk. Dafür,
dagegen.
Einerseits
geben Wörter Sinn, andererseits sind sie tauglich, Unsinn zu stiften. Wörter
können heilsam oder verletzend sein. Das Wort als Waffe. Sich spreizende,
auftrumpfende, mit Bedeutung gemästete Wörter. Manche sind Zungenbrecher,
andere lassen erkennen, verschleiern, leugnen ab, decken zu oder auf. Oft
liegen winzige Wahrheiten unter Wortlawinen begraben. Aus Wortstreit
entspringen Schimpfwörter. Flüche, Beschwörungen, Zaubersprüche bannen, rufen
herbei, lassen wahre Wunder geschehen. So im Berliner Tiergarten, als ich mir
nochmals die Brüder Grimm herbeiwünsche.
Das
fällt leicht. Ich muß nur zeitabwärts geeignete Plätze finden. Zum Beispiel
eine Insel, die, der Stadt Telgte vorgelagert, der Fluß Ems bildet, groß genug
für eine Herberge voll wortmächtiger Dichter, und schon reisen sie an, zitieren
sich selbst, sind scheu zurückhaltend oder streitsüchtig. Und in meinem
zeitverschlingenden Roman »Der Butt«, der soeben noch auf diesem Papier Hermann
Kant Anlaß gegeben hatte, mir einen fischförmigen Teller zu schenken, heißt
ein Kapitel »Die andere Wahrheit« und handelt zur Zeit der Frühromantik,
damals, als sich die Brüder Grimm... Und als ich in einem weiteren Roman, »Die
Rättin«, in dem es wie nach Plan um das Ende des Menschengeschlechts, doch
zuvor ums Waldsterben geht, sind Jacob und Wilhelm Grimm als wankelmütige Staatssekretäre
im zuständigen Umweltministerium tätig. Weil sie das Schlimmste verhüten
wollen, suchen und finden beide in einem Stummfilm, der »Grimms Wälder« heißen
soll, das Personal aller von ihnen zwischen Buchdeckel gesperrten Märchen.
Dornröschen und ihr wachküssender Prinz, Aschenbrödel, die Hexe verbündet mit
Hansel und Gretel, Rumpelstilzchen, das Mädchen ohne Hände, die sieben Zwerge
und Rapunzel treten auf, werden aufständig, widerstehen, damit der Wald, ohne
den es keine Märchen gibt, gerettet werde.
Diesmal
jedoch sind die Grimms nur bedingt roman- oder filmtauglich, doch gleichwohl,
was sie zeitlebens waren, wortversessen. Womit sie spielen: Partikel, die sich
im Spiel vermehren. Ich spiele mit. Was ihnen Lust bereitet: Oralverkehr mit
Vokalen. Wovon sie nie genug kriegen: Verben, aus Substantiven entsprungen,
Verben, zu Substantiven gebläht. Zudem paarweis laufende Wörter: Absage, Donnerwort,
Flüstergrotte, Gaumenkloß, Kehllaut, Redensart, Singsang, Stimmgabel,
Wortklang... Ich könnte Schallmauer und Urknall nachtragen.
Zu
dritt sitzen wir auf einer Bank nahe dem ehemaligen Zeltenplatz, von dem zu
ihrer Zeit strahlenförmig Alleen wegführten: die Kastanien-, Rüster-,
Buchenallee, die Ahorn-, Platanen-, Eichenallee. Wo früher die gegen Kriegsende
zerbombten Zeltengebäude standen, steht jetzt nahbei die vor wenigen Jahren
gebaute Kongreßhalle, die ihrer Form wegen von den Berlinern »Schwangere
Auster« genannt wird.
Da
wir nunmehr den Tiergarten im Dezember 1960 heimsuchen, ergibt sich, daß derzeit
der dreißigste Band des Grimmschen Wörterbuchs auf dem Markt ist, dem der Ostberliner
Frings und der Göttinger Neumann das Vorwort geschrieben haben. Er ist
geschwollen genug, um nach Wille, wirr, Wochenbett und Wolke ein Stichwort ins
Spiel zu bringen, das dem Wort an sich gilt: von der Spalte 1467 bis zum
Wortzwist mit dem Krummacherzitat, »wo herrschte jemals mehr kritik, aber auch
mehr wortzwist und logomachie und krittelei unter den gelehrten und
philosophen, als in Deutschland«, reicht die Wörterflut oder Flut der Worte;
denn nie galt als sicher, wann man Wörter zu sagen hatte, wo ohne Umlaut Worte
richtig
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