Grass, Guenter
waren.
Wilhelm,
dem die Dezemberkälte zusetzt, weshalb er eigentlich in die Kachelofenwärme
seiner Gelehrtenstube zurückwill und dem des Bruders Regelwerk schon immer
ferner stand, als er zugeben durfte, sagt: »Ob Worte oder Wörter, etwas
Verbindliches gibt es nicht. Das Sprachgefühl mag bestimmen.«
Jacob,
dem wie dem Bruder eine russische Pelzmütze die Ohren schützt, hält mit einem
Zitat aus den aufklärenden Schriften des Philosophen Christian Wolff dagegen:
»indem wir leere worte, mit denen kein begriff verknüpffet ist, für erkäntnis
halten und wörter für Sachen ausgeben«, ergibt sich der Unterschied.
Dann
stimmen beide überein, indem sie die gehäuften Belege zum Stichwort Wort als zu
weitschweifig kritisieren. Aber zugleich gefällt es ihnen, einander mit
weiteren Zitaten zu überbieten.
Mir
jedoch werden Beiträge untersagt. Bevor ich Sätze zur gegenwärtigen Jahreszeit
Winter bilden oder abschließend auf Wucher und Wut oder gar auf das Reizwort
Wurm kommen kann, schneidet mir Jacob jedes weitere ab: »Weder in Berlin noch
in Göttingen hat man gelernt, Maß zu halten!«
Er
bekrittelt die, wie er sagt, »planlosen Ausflüge« der Bearbeiter des Buchstabens
W ins grammatische Gehege und ins mundartliche Dickicht, schont weder Frings
noch Neumann und verflucht mich, weil ich ihn in den bitterkalten Tiergarten
gelockt habe. Auch ärgert ihn immer noch des Verlegers Hirzel willkürlicher
Beschluß, dem ersten Band des Wörterbuchs das Motto »Im Anfang war das Wort«
auf die Titelseite zu setzen: »Nicht Gottes Wille, Menschenwerk sind die
Wörter!«
Indessen
widerspricht Wilhelm einem Schmähgedicht Lessings, gemünzt auf Gottsched, der
»alle worte lands verweist, die nicht auf deutschem boden wachsen«.
Meinem
Einwand, dann wäre unser Wortschatz, wie nach plötzlichem Wertverfall an der
Börse, um ein Drittel geschwunden, stimmt Jacob zwar zu, meint aber sogleich,
die Nähe des Stichworts Wort zum lateinischen verbum in Frage stellen zu
müssen, indem er als Wurzel das germanische wurda und gotisch nachgewiesene
waurd freilegt.
Während
weitgereiste Touristen - japanische, die allerdings wie die Grimmbrüder
Pelzmützen gegen die Kälte tragen - an unserer Tiergartenbank vorbeiwatscheln,
habe ich vorsorglich den dreißigsten Band des Wörterbuchs zur Hand und warte
scheinbar wahllos mit Stichproben auf, mit allem, was dem gewichtigsten aller
Wörter, dem Wort anhängt oder vorgesetzt ist.
Leeres,
reines, banges,
das
letzte Wort haben.
Drauf
schwören, es brechen, dran glauben.
»Doch
immer behalten die quellen das wort...«
Vom
Wort zur Tat kommen.
Mit
Dankesworten beglückte
Gervinus
den Freund aus Zeiten,
als
Eidesworte nicht länger gelten sollten:
»Wie
anders ist es bei Ihnen,
der
Sie aus dem todten Worte das Leben erläutern.«
Drauf
pochen, drauf setzen, vertrauen
oder
kürzer gefaßt: Ein Mann ein Wort.
Sie
sollen es stehen lassen oder so ähnlich rief Luther.
Gesammelt
sind geflügelte Worte.
Und
eingeübt geht dem Pfaffen
das
»Wort zum Sonntag« vom Munde.
Das
will wohl jeder: ein Wörtchen mitreden.
Wortdrescher
und Wortdrechsler sind sie,
die
uns mit Wörterdunst benebeln,
die
kläubeln und wörteln, es dir im Munde verdrehen.
Zungenfertig
und wortgewandt fechten sie,
auf
daß der Wörterkrieg nie endet;
Jean
Paul hingegen weist daraufhin,
»dasz
viele worte gewechselt werden ohne allen zank.«
Mir
aber verfaulen manche im Munde schon,
indes
ich sie kaue, schlucke,
verschlucken
will,
sie
satt habe, an ihnen ersticke.
Es
fehlt ja nie an Wörtern. Alles heißt, hat seinen Namen, will bestimmt sein.
Wörter nageln jeden Gegenstand, plappern jeglichen Blödsinn nach, züngeln,
werden gemischt zum Salat, sind, weil geheiligt und gezählt, die sieben Worte
am Kreuz. Aufgerufen geben die Buchstaben Laut. Sie fügen sich weich, beweisen
Härte, so die ersten, als Adam zu ackern begann. Später, viel später dann,
nachdem die Brüder Briefe mit Bettine gewechselt und charakterlose Creaturen
auf Credit gelebt hatten, als Durst der Dürre gefolgt, die Eisenbahn von
Leipzig nach Berlin geeilt und mit den Blättern im Tiergarten die Frucht
gefallen war, gerieten die Buchstaben durcheinander bis hin zu den letzten in
langer Reihe.
Zog
mich aus, lag aus Wollust dem W bei,
träumte
danach vom V, einer vornehmen Dame,
erwachte
jedoch neben der Hure X, die mir ein U vormachte,
auf daß ich endlich und zwar mit Hilfe
der stets gefälligen Frau Q, einer
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