Grass, Guenter
Besuche der
Leipziger. Ich gestehe daß ich die Sache nicht beurtheilen kann. Ist die eigentliche
Last der Ausarbeitung eines Wörterbuchs damit verbunden, so erregt sie mir
einen gewissen Schrecken...«
Dann
aber, nachdem versichert wird, der Bruder solle entscheiden, kommt er sogleich
auf die geschäftliche Grundlage des Unternehmens: »Man dürfte uns nicht mit
einer bestimmten Zeit der Beendigung drängen können. Es müßte auch bestimmt
ausgedrückt werden, welches Einkommen uns jährlich dadurch könnte gesichert
werden. Endlich müßte, da ich aus Erfahrung weiß, wie bedenklich allgemeine
nicht bestimmt ausgesprochene Verhältnisse mit Buchhandlungen sind, alles
schriftlich und mit deutlichen Bestimmungen festgesetzt werden...«
Abschließend
wird von stadtinternen Zänkereien, lästigen Besuchen, albernem Gerede,
stadtinternem Klatsch und üblichem Zank berichtet. Er übermittelt dem fernen
Bruder liebe Grüße seiner Frau Dorothea, gewöhnlich Dortchen gerufen, und der
Söhne Herman und Rudolf, der kleinen Auguste. Man vermisse den »Apapa«, wie
Jacob von den Kindern geheißen wird.
Wenige
Tage später ist Wilhelm dem Unternehmen Wörterbuch schon geneigter: »Ich habe
die Sache überdacht und fange an zu glauben, daß wir dadurch für unser Leben
könnten gesichert werden. Dein Name wird der Sache einen entschiedenen Erfolg
geben u. gesetzt es würden 10 000 Ex. abgesetzt, u. möglicher weise könnten es
ja 20 bis 30 000 seyn, so würde der Gewinn sehr groß werden...«
In
offenbar gesteigerter Begeisterung für das auf lange Sicht geplante Unternehmen
und zugleich die Göttinger Schmach bedenkend, fügt er hinzu: »In der Stimmung,
in der ich gegenwärtig bin, ist mir der Gedanke an sich recht, von jedem
Staatsdienst unabhängig zu seyn.«
Jacob
berichtet auch brieflich in der ihm anhänglichen Schreibweise über den Besuch
aus Leipzig: »Ich hatte ihnen vorgestellt, du würdest dich lieber schriftlich
als mündlich erklären. Haupt hat mir persönlich so wol gefallen, wie früher
seine briefe schon, und auch Carl Reimer hat etwas ernstes und ruhiges...«
Wilhelm
bestätigt, er halte gleichfalls »den jungen Reimer für einen sehr braven Mann«,
läßt dann jedoch seinem Argwohn freien Lauf, »aber der Vater ist der
Eigenthümer der Buchhandlung, u. ich weiß gewiß, daß der Sohn nichts für sich
thun darf, was einigermaßen von Bedeutung ist. Hinter dem Vorschlage steckt
der alte u. wir müßen durchaus vorsichtig zu Werke gehen...«
Mit
dem Eigentümer der Weidmannschen Buchhandlung war Georg Andreas Reimer gemeint,
der als gerissen und knauserig galt. Anfang der dreißiger Jahre hatte er den
Verlag seinem Sohn und seinem Schwiegersohn Salomon Hirzel zumindest formal
übergeben. Wilhelms Mißtrauen war begründet.
Nach
brieflichem Hin und Her, in dem Jacob sich für eine vorn Dortchen geschenkte
Spieldose bedankt, zugleich aber klagt, weil seine Leselampe qualmt und das
Auge trübt, ein Übel, das abzustellen er ungeschickt ist, beginnt Wilhelm mit
den Verlegern ein günstiges Jahressalär auszuhandeln. Anfangs ist von tausend
Reichstalern die Rede, zu verrechnen mit späterem Honorar. Als beharrlich
Fordernder tritt er auf, der die Geduld des Jungverlegers strapaziert. Der
geschäftsmäßige Ton läßt anmutigen Wendungen und poetischem Überschwang, die
seinen Briefen sonst eigen sind, keinen Raum.
Ein
nüchternes, mir merkwürdiges Verhalten, hatte ich doch den jüngeren Grimm bis
dahin als verträumt, weich, mit schwärmerischen, von Herzen kommenden, zu
Herzen gehenden Worten, jedenfalls fern allem Pekuniären als einen
Bilderbuchromantiker vor Augen, der die ihm angeborene Schwermut zu ertragen
hat und nah seinen anheimelnd erzählten Märchen zu finden ist, in denen allenfalls
ein Esel Dukaten scheißt, des Müllers Tochter Stroh zu Gold spinnt und dem
armen Kind Sterntaler regnen.
Nun
aber sehe ich ihn, weil verlassen vom Bruder, auf sich gestellt. Mürrisch hockt
er in der trotz Frau und Kinderschar entleert wirkenden Göttinger Bleibe. Eine
Kappe aus Filz oder Samt deckt sein Haupt, dessen Haar strähnig auf die
Schultern fällt. Er sitzt über Papieren, auf denen Zahlen gereiht stehen. Er
erwägt Gewinn und Verlust, rechnet Anteile der Autoren aus. Andererseits will
er sich zeitflüchtig ins »Rolandslied« vertiefen, um ihm wie vormals den
dänischen Heldenliedern singbaren Klang abzugewinnen. Nun aber soll, nach des
Bruders gradlinigem Willen, Arbeit beginnen:
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