Grauen im Grand Hotel
Luft, die er einatmen konnte.
Wegen der hohen Bäume war ihm der Blick auf die Berge verwehrt, aber er sah vor sich die flache Rasenfläche, über die sich die Nebel wie dünne Tücher gelegt hatten. Die unteren Teile der Bäume wirkten so, als würden sie über dem Boden schwimmen.
Zur linken Hand lag das Hotel.
Lichter brannten hinter den Fenstern. Hin und wieder schimmerten die gelben Flecken in der Dunkelheit. Auch der Himmel hatte sich bereits bezogen, war aber wolkenlos, so daß ein prächtiges Sternen-Panorama hervortreten konnte. Die Gestirne sahen aus, als wären sie zum Greifen nah.
Es war einfach eine Nacht zum Genießen und nicht zum Sterben. Golenkow kam sich vor wie ein Delinquent, der zur Hinrichtung geführt wurde. Er konnte seinen Blick nie von der Kettensäge loslösen, die Argus in der Rechten hielt. Er schlenkerte sie wie ein Spielzeug. Wo lag das Ziel?
Nicht im Wald, denn als sie die Mitte der Rasenfläche erreicht hatten, blieb Argus stehen, drehte sich und wollte wissen, ob das der genaue Ort wäre.
Rocco bestätigte es.
»Dann müßte der Doktor ja kommen.«
»Bestimmt.«
Noch zeigte er sich nicht, und Wladimir bekam so etwas wie eine Galgenfrist. Er versuchte, mit seinen beiden Bewachern zu reden, was Rocco nicht wollte. Er legte einen Finger auf seine Lippen und schaute ihn nur starr an.
»Ja, ja, schon gut.«
Golenkow dachte über eine Flucht nach. Wenn er schnell war, konnte er in wenigen Sekunden den Waldrand erreicht haben. Er traute sich zu, einen Vorsprung zu halten, und zwischen den Bäumen waren die Chancen dann gleicher verteilt. Aber Rocco zog eine Pistole. Er grinste den Russen an. »Ich kann mir vorstellen, worüber du nachgedacht hast, aber das ist nicht drin. Du kommst nicht weg.«
»Da ist der Doktor!«
Mit dieser Meldung änderte sich alles. Rocco und Golenkow drehten sich um.
Aus dem Waldrand vor ihnen trat eine Gestalt. Sie hatte es nicht eilig, sie ging mit gemessenen Schritten und hätte eigentlich von der Dunkelheit verschluckt werden müssen, wenn da nicht etwas gewesen wäre, das wie ein Signal geleuchtet hätte.
Zwei rote Augen!
Satorius mußte etwas auf seinen vorgestreckten Händen liegen haben, das er unbedingt brauchte und das sehr wichtig für ihn war. Obwohl Golenkow den Gegenstand nicht erkennen konnte, flößte ihm der Anblick doch ein großes Unbehagen ein. Er wußte instinktiv, daß dieser Gegenstand mit den rot glühenden Augen für ihn von einer entscheidenden Bedeutung war.
Satorius behielt seinen Weg bei. Erst als er sich in Griffweite von der Gruppe entfernt befand, stoppte er seine Schritte. Er und Golenkow schauten sich an.
»So sieht man sich wieder, Russe.«
»Ja, das merke ich.«
»Du wirst in dieser Nacht sterben. Ich hatte dir geraten, nicht zu kommen, aber nun wirst du eines der ersten Opfer werden, das Farrax geweiht ist.«
»Wer ist das?«
»Der Kopf.«
Golenkow senkte seinen Blick. Zum erstenmal schaute er sich den Gegenstand genauer an, der auf den Händen des Psychiaters lag. Es war kein normaler Kopf. Dem Russe kam er vor, als wäre er aus Holz und Baumrinde geschnitzt worden.
Nur eines störte dabei.
Die beiden Augen!
So rot, so glutvoll und doch düster. Ihr Blick war gefährlich, er versuchte, die Kontrolle über einen Menschen zu bekommen, und das haßte der Russe.
Er schaute weg!
Satorius lachte, als er es bemerkte. »Bist du auch schon in seinen Bann geraten?«
»Wieso?«
»Man kann sich nicht von ihm befreien. Farrax hat die Macht. Er hat sie schon immer gehabt. Er ist ein uralter Dämon. Ihn kannten bereits die alten Römer. Sie haben ihn mitgebracht, denn sie wußten, daß sich in ihm zahlreiche Mythen und Kräfte vereinen. Farrax ist etwas Außergewöhnliches. Er ist die Macht, er hat die Kraft über Lebende und Tote. Er beherrscht das Diesseits und das Jenseits. Manche sagen, daß er dem Teufel ähnlich wäre, was ich nicht beurteilen kann, da ich den Teufel nicht kenne. Jedenfalls ist er wichtig, und in dieser Nacht wird er dir und uns beweisen, wie groß seine Macht ist.«
Golenkow nickte. »Ja, wenn du meinst…«
Satorius wandte sich an seine Helfer. »Habt ihr die Stäbe und die Handschellen?«
»Ich!«
»Gut, Argus.«
Der Angesprochene griff in die Tasche. Wladimir schielte zur Seite. Im nächsten Moment konnte er erkennen, was beim Gehen so geklimpert hatte. Argus holte aus der Tasche zwei Handschellen und zwei Heringe hervor, diese schmalen, unterarmlangen Stangen, die schräg in den
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