Grauen im Pentagon
den Captain an, der es gewohnt war, Blicken nicht auszuweichen. Plötzlich spürte Ashley, daß er sich wohl bei diesem Besuchergeirrt hatte, denn in den Augen des Mannes lag ein Ausdruck, der Ashley vorsichtig werden ließ. Energie, Wille und auch Kälte vereinigten sich in diesem Blick. Es war Dr. Mertens anzusehen, daß ersieh durchsetzen konnte, obwohl er nur mit leiser Stimme sprach. »Ich komme aus Washington, Captain, und bin autorisiert worden, den Friedhof zu durchfahren. Allein, versteht sich.«
»Man berichtete es mir. Darf ich fragen, ob es einen besonderen Grund für Ihren Besuch gibt?«
»Sie dürfen, Captain, aber ich werde Ihnen keine Antwort geben. Ich habe meine Gründe.«
»Sehr wohl, Sir. Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?«
Dr. Mertens überlegte einen Moment. Dann nickte er. »Ja, ich möchte von Ihnen wissen, ob sich noch weitere Besucher auf dem Friedhof befinden?«
»Nein, nur das Personal.«
»Sie meinen die Gärtner.«
»So ist es, Sir.«
»Ich werde den Wagen nehmen, die Entfernungen sind mir doch zu groß.« Karl Mertens gestattete sich ein Lächeln, das der Captain allerdings nicht erwiderte.
»Kann ich Ihnen keine Begleitung mitgeben? Meine Leute sind geschult, sie kennen sich aus.«
»Ich fahre allein, Captain.«
»Natürlich, Sir.«
Dr. Karl Mertens drehte sich um und stieg wieder in seinen Wagen. Als er abfuhr, legte Ashley eine Hand an seinen Helm. Er schaute dem Wagen nach, hinter dessen Heck die Auspuffgase allmählich zerflatterten.
Der Besucher mußte einen hohen Rang beim Geheimdienst oder bei der Regierung besitzen. Wer sich allein auf Arlington bewegte, der war kein Normalverbraucher.
Mittlerweile rollte Dr. Mertens tiefer in das weiträumige Gelände hinein. Der Friedhof schluckte ihn. Er sah die langen Felder mit den weißen Grabsteinen, er sah die sauberen Wege, er rollte unter dem Geäst der hohen Laubbäume her. Darüber spannte sich ein wolkenloser, weiter, azurblauer Himmel, der an einigen Stellen durch weiße Streifen verziert wurde, die Flugzeuge hinter sich herzogen. Ihre Triebwerke waren nicht zu hören. Der Friedhof erstickte in der Stille.
Mertens fuhr langsam. Ab und zu sah er einen der Gärtner. Die Männer waren dabei, die Wege zu säubern, Büsche zu schneiden oder neue Pflanzen und Blumenrabatte anzulegen.
Denkmäler standen stolz auf ihren Sockeln. An verschiedenen Stellen wirkten die frisch gestrichenen Fahnenmasten wie bleiche Leichenarme, die — zum letzten Griff gereckt — noch aus dem Grab stechen wollten. Karl Mertens hatte sich zuvor informiert. Er wußte genau, wo er hinzufahren hatte. Und zwar lag das Gebiet so ziemlich am Ende des Friedhofs, wo es nicht weniger gepflegt war. Dort waren nicht die großen Helden begraben, die Generäle oder Admiräle, nein, da lagen die einfachen Helden, die auch nur schlichte Steine auf ihre Gräber bekommen hatten. Mertens fuhr über einen der breiten Hauptwege. Aus einem Seitenweg erschien ein Elektrowagen. Er besaß ein schmales Führerhaus und eine Ladefläche. Der Mann hinter dem Lenkrad hielt an und ließ den Cadillac erst vorbei. Es war der letzte Mensch gewesen, der Dr. Karl Mertens vor Erreichen seines Ziels begegnete. Fünf Minuten später fuhr er den Wagen in eine Lücke und stieg aus. Den Rest wollte er zu Fuß gehen. Ein leichter Wind war aufgekommen. Sommerlich warm wehte er gegen den Mann mit der Goldrandbrille.
Unter seinen Sohlen knirschte, als er den Hauptweg verließ, feiner, heller Kies. Er bestand aus besonderen Steinen. Sie wurden nur an einer bestimmten Stelle im Land gefunden, gründlich gewaschen und erst dann nach Arlington gebracht. An dieser Stelle lagen die Grabsteine hinter sorgfältig gestutzten Buschreihen verborgen, die wiederum unter dem Schutz ausladender Baumkronen wuchsen. Sonnenlicht drang nur gefiltert und in Streifen bis auf den Boden.
Selbst die Vögel hielten sich mit ihrem Gesang zurück. Die Stille des Todes hielt den Mann umklammert.
In der Ferne konnte er schon die weiße Mauer sehen. So weit brauchte er nicht zu gehen. Bei der nächsten Einmündung bog er rechts ab. Dort lagen, praktisch in einer Sackgasse, die Gräber, auf die es ihm ankam. Die Meldung hatte ihn vor einigen Tagen erreicht. Ein Besucher hatte ihn praktisch aufgeschreckt. Glücklicherweise gehörte der Mann zur Regierung und besaß auch Beziehungen zum Geheimdienst. Durch seine Aussage war Karl Mertens mißtrauisch geworden. Er hatte lange mit dem Mann gesprochen und seinen
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