Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
habe.«
Murphy schüttelte müde den Kopf. »Es ist alles gut gegangen. Ich glaube, ich habe die Wohnung ganz gut abgesichert. Aber sie wissen jetzt, dass sich hier Menschen aufhalten.«
Wulf kam zu ihm und setzte sich auf die Kante von Darylls Sessel. Er strich dem Jungen beiläufig durchs Haar und sah dann Murphy mit ernstem Blick an. »Wir müssen fort.«
Der Alte starrte mit trübem Blick auf den Wasserkessel, aus dem leichte Dampffäden aufzusteigen begannen. Sein Mund bewegte sich, als würde er etwas zerkauen, oder als ob er etwas sagen wollte, jedoch nicht wusste, wie er es in Worte fassen sollte.
»Ich habe die ganze Zeit an nichts anderes gedacht.« Seine Stimme klang belegt. Er sprach leise, um die Kinder nicht zu wecken. Das war nicht das, was er sagen wollte. »Sie werden jetzt jede Nacht kommen, und irgendwann …« Murphy brauchte den Satz nicht zu beenden.
»Was schlägst du vor?«
Wulf nickte, als hätte er auf genau diese Frage gewartet. Er legte die Handflächen gegeneinander und rieb sie, als wäre ihm kalt.
»Ich komme aus Deep River. Dort lebte ich mit meiner Familie. In den ersten elf Tagen verschanzte ich mich in meinem Haus. Irgendwie hatte ich mir eingeredet, dass der Alptraum eines Tages beendet sein muss. Ich schlug mich jeden Tag durch die Stadt, um nach anderen Überlebenden zu suchen.« Er faltet die Hände ineinander und lehnt die Stirn dagegen. »Ich habe keinen einzigen gefunden. In dieser verdammten Stadt gab es nur noch mich. Und in der Nacht diese Kreaturen. Es waren nicht so viele wie hier. Ich konnte sie nur vereinzelt durch die Straßen schleichen sehen. Einmal war eine von ihnen auf die Veranda des Hauses gekommen. Ich konnte durch die Tür ihr Keuchen und Grunzen hören. Sie hat geschnüffelt wie ein Hund, geknurrt und ist mit den Krallen über das Holz der Verandaverkleidung gefahren. Dann ist sie wieder abgezogen. Als ich am nächsten Morgen die Spuren der Klauen im Holz fand, beschloss ich, aufzubrechen.«
Wulf verstummte, als hätte er zu viel von sich selbst preisgegeben.
»Ein Kumpel von mir war Soldat und in Stonington stationiert. Das ist ein kleiner Militärstützpunkt an der Küste.«
Er sah Murphy vielsagend an. Dieser nahm den dampfenden Kessel vom Feuer und füllte die Tassen. Augenblicklich erfüllte ein köstlicher Duft den Raum. Eine Mischung aus starkem Kaffee und Kakao.
»Denkst du, dass wir dort jemanden finden?«
Wulf zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht war so grau wie das von Demi. Übermüdet und alt.
»Ich weiß es nicht. Aber einen Versuch wäre es wert.«
»Und wenn der Stützpunkt genauso verlassen ist wie der Rest der Welt?«
»Dann leben wir dort auf jeden Fall sicherer als hier. Der Stützpunkt befindet sich auf freiem Feld, umzäunt von hohen Stahlzäunen und Stacheldraht.«
Murphy sah den Fremden nachdenklich an. Er nahm einen großen Schluck Kaffee und schmatze dabei ungeniert. Dann blickte er sich im Zimmer um. Er lebte seit fünfunddreißig Jahren in den Hügeln. Damals, als seine Frau Audrey noch bei ihm war, hatte er das Haus mit dem Gemischtwarenladen gebaut, um ihnen beiden eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Dieses Haus war ihre eigene kleine Welt gewesen, in der sie glücklich waren und sich jung fühlten. Hier waren sie Liebende, alberne Kinder und Streithähne in einem gewesen. Selbst als Audrey eines Tages bei einem feigen Überfall im Laden getötet wurde, blieb das Haus Murphys Heimat. Hier bewahrte er seine liebsten Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit auf. In jeder Ecke gab es für ihn wertvolle Andenken an Audrey. Die Räume erzählten ihm in den stillen Nächten Geschichten aus der Vergangenheit. Manchmal glaubte er sogar Audreys Parfüm, das sie immer aufgelegt hatte, wenn sie hinunter nach Devon gegangen waren, im Schlafzimmer riechen zu können. Er war ein alter Mann. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, das Haus mit all seinen Bildern, Gerüchen und Geschichten eines Tages hinter sich zurückzulassen. Für ihn war es all die Jahre eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass er am selben Ort sterben würde wie seine Audrey. Das schuldete er ihr einfach. Nur so konnte er wieder mit ihr vereint sein.
Er blickte zu Wulf, der ihn schweigend ansah. Er mochte den Fremden, auch wenn er die Kreaturen mit dem Lärm seines Motorrades auf sie aufmerksam gemacht hatte. Wulf war ein Mensch, der wusste, wann man redete und wann man schwieg.
Daryll hatte sich wie eine Katze auf dem Sessel zusammengerollt. Sein Atem ging
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