Graues Land (German Edition)
sich ihre Brust schwach hebt und senkt. Es sind keine Gebete. Und auch keine Fragen nach dem Warum. Einfach nur der Wunsch, nicht völlig allein auf der Welt zurückgelassen zu werden. Wenn Gott nicht tot ist, wird er mir meine Bitte erfüllen.
Als ich die Tür mit meiner Hüfte aufstoße, schlägt mir abgestandene Luft entgegen. Eine trockene Wärme streicht über mein Gesicht und der säuerliche Geruch von Schweiß und Urin steigt mir in die Nase.
Die Tür quietscht leise in den Angeln. Wieder ein Geräusch, das mich an bessere Tage zurückdenken lässt. Sarah hat mich immer darum gebeten, etwas gegen das nervtötende Quietschen zu unternehmen. Und immer habe ich nur genickt ... und es dann vergessen.
Durch den Spalt der geschlossenen Holzläden vor dem Fenster kann ich einen letzten, dunkelgrauen Streifen Tageslicht erkennen, als versuche eine brackige Masse durch die Ritzen ins Zimmer zu sickern. Auf einem Tisch in der Ecke brennt eine einzelne Kerze. Deren Flamme beginnt hektisch zu tanzen, als die stille Luft des Raumes von mir durcheinander gewirbelt wird.
Plötzlich erwachen die starren Schatten an den Wänden zu verzweifeltem Leben. Der alte Eichenschrank, den wir uns nur ein paar Tage nach unserer Hochzeit gekauft hatten, der kleine Schminktisch, den Sarah noch bis vor einigen Jahren benutzt hat, um sich hübsch zu machen, oder aber die massigen Pfosten des Bettes, die wie stumme Wächter an der Wand emporragen, und die das Liebste beherbergen, das ich je im Leben besessen habe.
Ich stelle die Petroleumlampe neben die Kerze und blicke zum Bett hinüber. Von irgendwo draußen dringt langgezogenes Heulen in den Raum. Mein Blick wandert kurz zu dem finsteren Spalt zwischen den Holzläden, dann wieder zum Bett. Alles was ich erkennen kann, ist die dicke Federdecke, über deren Muster die Schatten der Kerze und der Lampe huschen. Als ich näher trete, bemerke ich, wie sich die Decke kaum merklich hebt und senkt. Erleichtert atme ich aus und bemerke erst jetzt, dass ich die ganze Zeit, seit ich den Raum betreten habe, die Luft angehalten habe. Ein kurzer Blick zur Decke, ein ebenso kurzes und schlichtes Danke an jenes Wesen, das andere als Gott bezeichnen.
Die Federn des alten Bettes quietschen leise, als ich mich neben Sarah setze. Das Tablett lege ich auf meinen Knien ab und halte es mit einer Hand fest, während ich mit der anderen zögerlich nach Sarahs blassem Gesicht taste.
Sie blickt in meine Richtung. Das tut sie immer, wenn ich mich neben sie setze. Aber manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt wahrnimmt. Vielleicht ist es auch nur Zufall, dass ihr Kopf auf diese Seite geneigt ist. Ihre Augen blicken ausdruckslos, die Pupillen sind mit einer milchigen Schicht überzogen.
Früher einmal waren diese Augen von einem bestechenden Blau gewesen. Oftmals liest man in romantischen Romanen von tiefen Seen, die man in den Augen wunder- schöner Frauen finden konnte. Und dass man auf ewig darin versinken könnte, hinabtauchen bis auf den Grund des Paradieses. Bei Sarah waren diese Worte keine leeren Phrasen gewesen.
Ihre Augen hatten geleuchtet und waren von einem kindlichen, neugierigen Leben beseelt gewesen. Wenn sie einen angeblickt hat, war die Welt ringsum zur Bedeutungslosigkeit degradiert worden, so klischeehaft sich das auch anhören mag. Doch ein Blick in dieses unergründliche Blau - in diese tiefen, geheimnisvollen Seen - und man war nur noch von dem Wunsch besessen, absolut alles für den Besitzer dieser herrlichen, kraftvollen Augen zu tun.
Heute sind ihre Augen tot. Über die blaue See hat sich immerwährender, dichter Nebel gelegt, der jede Farbe in tristes Grau verwandelt. Ihr Mund ist offen, ihre Lippen rissig und grau. Saurer Atem, wie man ihn vom morgendlichen Erwachen her kennt, schlägt mir in schwachen Zügen entgegen. Ich streiche durch ihr Haar, das ihr zerzaust in die Stirn hängt. Wann immer es geht, versuche ich ihr das Haar zu kämmen. Doch meistens schaffe ich es nur, sie zu waschen und umzuziehen, bevor sie wieder die Augen schließt und einschläft.
Mit zärtlichen Bewegungen versuche ich ihre grauen Locken zu ordnen. Die Haut ihrer Stirn ist trocken und schuppig. Um ihre Augen haben sich tiefe Ringe gebildet.
»Sarah«, flüstere ich leise und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. Der Gestank von Schweiß und frischen Fäkalien steigt mir in die Nase.
»Liebling. Ich habe dein Essen mitgebracht.«
Ich drehe mich in ihre Richtung, so dass das Tablett
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