Graues Land (German Edition)
Mannes sind. Ihre Hand liegt schlaff und kalt in der meinen.
Auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett steht das Tablett mit einem letzten Rest Haferschleim. Er erinnert mich daran, was ich an diesem Tag zu erledigen habe.
Nachdem ich Sarah mit einem Lappen gewaschen und sie umgezogen habe, setze ich mich noch einmal zu ihr und betrachte ihr hageres Gesicht. Bilder meines Traumes versuchen sich in meine Erinnerung zu stehlen, doch ich verdränge sie.
»Ich gehe zu Murphy«, sage ich leise und beuge mich dabei nach vorn, damit Sarah mich besser verstehen kann. Ich weiß, dass sie es nicht tut, doch es ist eine alte Gewohnheit von mir. Und Gewohnheiten sind alles, was mir von unserer gemeinsamen Zeit geblieben ist.
»Unsere Vorräte gehen zur Neige.«
Mein Blick fällt zu dem schmalen Streifen Licht, der zähflüssig durch die Ritzen des Fensterladens tropft.
»Ich hoffe nur, dass es Murphy gut geht.«
Die letzten Worte sage ich zu mir selbst, während ich Sarahs kalte Hand nervös in der meinen halte. In Gedanken füge ich hinzu ... und er noch lebt . Fast zehn Tage ist es her, seit ich Murphy zum letzten Mal gesehen habe.
Damals war die Welt noch in Ordnung gewesen. Wir hatten Strom und Wasser. Und am Abend konnte ich mich vor den Fernseher setzen und mir eine Wiederholung von `Quincy´ auf dem Serienkanal anschauen. Dazu natürlich eine Tasse Tee, um der alten Zeiten willen.
Doch die Welt hat sich weitergedreht, denke ich mir.
Mein Blick verharrt auf dem kränklichen Streifen Tageslicht, der sich auf dem Teppich wie eine schmutzige Pfütze ausbreitet. Die Welt jenseits der Fensterläden ist still geworden. Und keiner weiß, was wirklich geschehen ist.
In den ersten beiden Tagen, als der Strom noch da war, habe ich einiges im Fernsehen gesehen, das mich zunächst nicht wirklich interessiert hat. Sie sprachen von terroristischen Anschlägen und Vergeltungsmaßnahmen, und von Bakterien, die freigesetzt wurden. Als ich damit begann, den nervösen Nachrichtensprechern näher zuzuhören, fiel der Strom aus, und bis heute habe ich ihn nicht wiederbekommen.
Eine Zeitung bekomme ich auch nicht mehr. Der junge Daryll hat sich seit Beginn der ... der was? Der Stille? Der Wandlung? Der junge Daryll hat sich nicht mehr blickenlassen. Aber das erwähnte ich ja bereits. So bin ich auf das angewiesen, was meine Phantasie aus den wenigen Meldungen macht, die ich im Fernsehen bewusst wahrgenommen habe, und wie sie diese verarbeitet. Und das Ergebnis meiner nächtlichen Grübeleien gefällt mir ganz und gar nicht.
Selbst das Telefon funktioniert nicht mehr. Und ein Handy haben Sarah und ich nie besessen. Früher habe ich oft mit Murphy telefoniert. Es waren nie lange Gespräche gewesen. Männer sagen sich, was zu sagen ist, und das war es dann auch schon. Das ist einer der grundlegendsten Unterschiede zwischen Männer und Frauen.
Plötzlich beginne ich mir Sorgen um Murphy zu machen. Zehn Tage sind vergangen, seit ich das letzte Mal in seinem Laden gewesen bin. Kurz bevor die Welt zum Teufel gegangen ist. Ich frage mich, wieso ich nicht früher auf die Idee gekommen bin, mal zu Murphy zu fahren und ihn zu fragen, ob er mehr weiß als ich. Irgendwie ist mir der Gedanke nie gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein alter Mann bin. Senilität und ähnliche Worte, die ich zu vermeiden suche.
Vielleicht aber habe ich einfach nur Angst davor, was ich zu sehen bekomme, wenn ich runter zu Murphys kleiner Blockhütte fahre, in der er lebt und seinen Gemischtwarenhandel betreibt. Ich habe, seit es begonnen hat, kein Auto vorbeifahren hören, oder sonst irgendwelche Geräusche, die mich an etwas Lebendiges da draußen erinnern. Aber die leere Speisekammer in der Küche zwingt mich, die Sicherheit meines Hauses zu verlassen, ob ich nun will oder nicht.
Mit einem weiteren Stöhnen auf den Lippen beuge ich mich zu Sarah hinab und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie riecht nach frischer Seife, doch vermag dies den Gestank eines Sterbenden nicht zu überdecken.
»Ich bin bald zurück, Liebes«, flüstere ich. Dann decke ich sie zu und lösche die kleine Flamme der Petroleumlampe. »Ich werde Tee mitbringen.«
Mittlerweile fällt genügend Tageslicht durch die geschlossenen Läden, dass ich mich in den grauen Schatten des Hauses sicher bewegen kann. Auf einem kleinen Sekretär vor dem Schlafzimmer liegt mein altes Jagdgewehr. Ich bin nie ein Freund der Waffe gewesen und habe sie in all den Jahren nie benutzt. Aber Sarah
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