Graveminder
werden Sie bei lebendigem Leib aufgefressen.« Kurz sah Daisha ihn an, dann wandte sie sich an Rebekkah. »Wenn Sie mir Ihr Wort geben, mich nicht einzusperren, vertraue ich Ihnen.«
»Ich sperre dich nicht ein«, versprach Rebekkah.
Daisha sah Byron an. »Er lässt mich hinein, und dann bringe ich einen heraus, zur Wand. Wir haben genug Salz, um frische Linien zu ziehen. Ich vertraue Ihnen.«
Der Undertaker schürzte die Lippen, aber Daisha wusste, dass ihr Plan vernünftiger war. Byron wischte das Salz gerade so lange weg, dass sie hineingehen konnte. Sobald sie die Küche betreten hatte, packte sie die tote Frau. Byron spritzte ihr etwas, das eine Salzlösung zu sein schien, und sie erschlaffte. Während Daisha die tote Frau festhielt, eilte Byron zur Couch, hob Rebekkah hoch und trug sie zur Tür.
Vorsichtig zogen sie die tote Frau, die über dem Boden schwebte, aus der Küche und gingen dann zu viert zum Truck.
Schweigend fuhren sie zum Bestattungsinstitut. Sobald Byron geparkt hatte, trug er Rebekkah ins Haus. Die tote Frau schwebte neben Rebekkah her.
Daisha weigerte sich, das Gebäude zu betreten. Sie wartete draußen auf die Rückkehr der beiden.
Als die Totenwächterin kurz darauf herauskam, humpelte sie noch, konnte aber aus eigener Kraft gehen.
»Was ist passiert?«, fragte Daisha.
Byron gab keine Antwort. »Es heilt«, erklärte Rebekkah gelassen.
Daisha entschied, dass sie gar nicht mehr wissen wollte. Daher nickte sie nur und stieg wieder in den Laster. Sie wiederholten den Vorgang, bis sie alle Toten durch den Tunnel ins Totenland begleitet hatten. Und jedes Mal schien Rebekkahs Wunde weiter zu heilen.
Als sie mit dem letzten der Hungrigen Toten, dem alten Mann, zum Bestattungsinstitut zurückgekehrt waren, trat Byron mit ihm in das Gebäude, doch Rebekkah blieb noch draußen. Die Totenwächterin schwieg, und Daisha hatte es nicht eilig, die unvermeidliche Auseinandersetzung schneller als nötig herbeizuführen.
Gemeinsam und wortlos standen sie da. Die Stadt schien zu schlafen. Ihre Bewohner hatten keine Ahnung, dass Daisha existierte, dass sie von einem Toten ermordet worden war, dass sie selbst Leben genommen hatte. Sie hatten weggesehen, als sie Menschen bei lebendigem Leib zerrissen hatte.
Es könnte so weitergehen, dachte sie. Wenn sie mich lassen, könnte ich hierbleiben.
Daisha verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte das Zittern zu verhindern, das sie zu überwältigen drohte. Sie sah Rebekkah nicht an – aber sie löste sich auch nicht in Luft auf. Rebekkah war erschöpft, allein und vertraute ihr.
Genau wie Maylene.
»Du weißt, dass du auch gehen musst«, flüsterte Rebekkah.
Daisha schwieg. Wider besseres Wissen hegte sie die Hoffnung, die Totenwächterin werde ihr erlauben zu bleiben oder eine andere Lösung für ihr Problem finden. Nicht besonders logisch, aber das war ihr Zustand als lebende Tote auch nicht.
»Hättest du nicht gewusst, dass es so weit ist, wärst du weggelaufen, während ich die anderen ins Haus brachte. Du hättest fliehen können, aber du hast gewartet.« Rebekkah schenkte Daisha ein zutiefst erschöpftes Lächeln.
Daisha wandte den Blick ab. »Das ist ungerecht. Ich wollte leben, und jetzt, nachdem ich wieder ich selbst bin … Ich will niemanden töten, aber ich will auch nicht sterben.«
Behutsam berührte Rebekkah Daishas Schulter. »Dort drüben liegt eine wunderschöne Welt … Ich wünschte … Keine Ahnung, was ich an deiner Stelle täte, aber ich weiß, dass ich dort hingehen möchte. Um zu bleiben.«
Nicht der Sinn der Worte, sondern Rebekkahs zittrige Stimme bewog Daisha, die Totenwächterin anzusehen.
Rebekkah lächelte ihr verhalten zu. »Noch kann ich nicht dort bleiben, aber wenn ich könnte, täte ich es. Du kannst es. Dort gibt es keine Zeit, keine Vergangenheit und keine Gegenwart. Jedes Jahr existiert gleichzeitig mit allen anderen. Keine Nahrung auf dieser Seite schmeckt so gut. Ich kann dir den Grund nicht nennen, aber ich schwöre dir – du brauchst die Welt, die ich dort gesehen habe, nicht zu fürchten.«
»Ich wäre aber trotzdem tot«, hielt Daisha ihr entgegen.
Rebekkah lächelte sanft. »Das bist du schon.«
»Ich habe Angst.« Wenn Rebekkah sie ansah, fühlte sich Daisha viel weniger als Monster, aber sie wollte auch nicht, dass ihre Existenz endete. Die Vorstellung, den Himmel oder die Hölle – oder wohin sonst dieser Abgrund führte – zu betreten, beruhigte sie nicht.
»Ich weiß.«
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